Coronavirus-Pandemie
Spahn lässt nach geförderten Intensivbetten fahnden
Die Regierung hat den Aufbau tausender neuer Intensivbetten in Deutschland mit mehr als einer halben Milliarde Euro gefördert. Jetzt fragt sie nach, ob es die Betten tatsächlich gibt.
Veröffentlicht:Berlin. Deutschland hat sich seit dem Frühjahr eine ordentliche Reserve an Intensivbetten zugelegt. Bei der Abrechnung der Fördergelder sind den Verantwortlichen im Gesundheitsministerium nun „erhebliche Abweichungen“ ins Auge gestochen. Tausende Intensivbetten könnten fehlen.
Gesundheitsstaatssekretär Thomas Steffen hat den Ressortkollegen in den Ländern einen Brief geschrieben und um Aufklärung gebeten. Update 17.7., 18.42 Uhr: Zuerst hatte die ARD berichtet, deren Magazin „Kontraste“ am Donnerstagabend über das Schreiben berichtet hat.
„Wir nehmen die Hinweise sehr ernst“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Da dafür das Geld gesetzlich Versicherter ausgegeben werde, müsse transparent nachvollzogen werden können, wohin das Geld fließe.
„Kein Anlass für Misstrauen“
„Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinen Anlass zu Misstrauensvermutungen“, beteuerte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“. Zunächst müssten die Ergebnisse einer Verifizierung vorliegen. Das hätte nach dem ursprünglichen Zeitplan am 10. Juli bereits der Fall sein sollen.
Die Differenz zwischen geförderten Plätzen und der Darstellung im DIVI-Register lasse sich beispielsweise dadurch erklären, dass nicht alle neu geschaffenen Kapazitäten personell betrieben würden. Hinzu kämen Betten, die mit Beatmungsgeräten ausgestattet worden seien und für die die gesetzliche Pauschale vorgesehen sei. Die seien „ersetzend, aber nicht additiv“ zu sehen, sagte Baum.
Abgeleitet aus der bis zum 15. Juli ausgezahlten Fördersumme von 534,25 Millionen Euro müssten 10.685 zusätzliche Intensivbetten zur Verfügung stehen. An die Krankenhäuser geflossen ist sogar noch mehr Geld. Zuschüsse der Länder sind allerdings nicht erfasst.
Die Förderung geht auf das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz von Ende März zurück. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte damals binnen weniger Stunden bei der Regierung eine Erhöhung des ursprünglich vorgesehenen Förderbetrags von 30.000 auf 50.000 Euro erreicht. Die tatsächlichen Gestehungskosten für ein Bett werden allerdings auf 85.000 Euro je Einheit geschätzt.
Erklärungsbedürftige Lücke?
Eine Anfrage der „Ärzte Zeitung“ beim DIVI-Register in dieser Woche hat ergeben, dass derzeit 32.500 Intensivbetten an 1273 Krankenhaus-Standorten „betriebsbereit“ sind. Im Jahr 2018 hatte das Bundesamt für Statistik 28.031 Intensivbetten an 1160 Kliniken gezählt. Ausgehend von dieser Zahl ergibt sich die erklärungsbedürftige Lücke. Rechnerisch müssten also 38.716 Intensivbetten zur Verfügung stehen.
An das DIVI-Register gemeldet werden „betriebsbereite“ Intensivbetten. Ein Behandlungsplatz gilt als betreibbar, wenn entsprechend der Versorgungsstufe ein Raum, funktionsfähige Geräte und Material sowie das pflegerische und ärztliche Personal zur Verfügung stehen.
Die Zahlen der betreibbaren Betten und der Planbetten können nach Darstellung der DIVI voneinander abweichen: „Die intensivmedizinischen Planbetten stellen ein unveränderliches, festes Strukturmerkmal dar, eine Anzahl zugewiesener Intensivbetten nach Krankenhausstandort-Strukturplan.“ Raum-und Personalnot können demnach dazu führen, dass vorhandene Intensivbetten nicht genutzt werden können. Schon in Vor-Corona-Zeiten waren wegen des Pflegepersonalnotstands ganze Intensivstationen gesperrt.
Zusatzbedarf ist ausgeblieben
Der zu Beginn der Coronavirus-Pandemie erwartete Zusatzbedarf an Intensivkapazitäten ist ausgeblieben. Am 15. Juli waren insgesamt 21.489 Intensivbetten in Deutschland belegt, 248 von Corona-Patienten. Etwa die Hälfte aller wegen Corona intensivmedizinisch behandelten Patienten muss beatmet werden.
Von den in Deutschland gut 200.000 bislang mit dem neuartigen Coronavirus infizierten Menschen mussten bislang 15.079 intensivmedizinisch betreut werden. 3749 sind an der Krankheit verstorben.