Eckpunkte für Reform

Spahn schlägt Pflöcke für Pflegeversicherung 2.0 ein

Eigenanteile deckeln, Demografiefestigkeit erhöhen, Pflege aufwerten, Schnittstellen von GKV und Pflegeversicherung glätten: Spahns Vorhabenpaket ist dick – und vermutlich kontrovers.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), hier bei einer Veranstaltung im Februar 2020, hat Eckpunkte für eine Pflegereform vorgelegt, die über die Neuordnung der Finanzierung hinausgeht.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), hier bei einer Veranstaltung im Februar 2020, hat Eckpunkte für eine Pflegereform vorgelegt, die über die Neuordnung der Finanzierung hinausgeht.

© Roberto Pfeil / dpa

Berlin. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) treibt die Vorarbeiten für eine Reform der Pflegeversicherung voran. Anfang Oktober waren Pläne bekannt geworden, dass Spahn die Eigenbeteiligung auf 700 Euro pro Monat und längstens drei Jahre deckeln will.

Ein jüngst bekannt gewordenes Eckpunktepapier zur „Pflegereform 2021“ schreibt das Vorhaben fort. Für Streit mit den Ländern dürfte der Vorschlag sorgen, dass diese sich künftig mit 100 Euro für jeden vollstationär versorgten Pflegebedürftigen an den Investitionskosten beteiligen sollen. Das sei „angemessen“, da die Länder bei der Sozialhilfe durch die Deckelung der Eigenanteile um etwa eine Milliarde Euro entlastet würden.

Kinderlose sollen 0,1 Beitragspunkte mehr zahlen

Gleichermaßen strittig dürfte in der Koalition das Vorhaben wirken, den Pflegevorsorgefonds auszubauen. Kinderlose Versicherte sollen demnach statt 0,25 künftig 0,35 Beitragssatzpunkte zusätzlich zahlen. Die Mittel aus dem Extra-Zehntel-Prozentpunkt sollen an den Pflegevorsorgefonds abgeführt werden. Der Beitragszuschlag ist 2005 in Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2001 eingeführt worden.

Die Richter hatten damals betont, dass Beitragszahlungen und der generative Beitrag durch Kindererziehung äquivalente Leistungen in einer umlagefinanzierten Sozialversicherung darstellen. Bislang fließen rund 1,5 Milliarden Euro jährlich in den Vorsorgefonds. Er hat das Ziel, starke Steigerungen der Beitragssätze abzufedern, wenn die Babyboomer-Jahrgänge in den 2030er Jahren in Rente gehen.

SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas hatte Spahn im Oktober aufgefordert, auch Mittel aus dem Pflegevorsorgefonds zur aktuellen Finanzierung heranzuziehen. Der Minister plant nun das genaue Gegenteil: Nach dem Eckpunktepapier soll die Ansparphase des Pflegevorsorgefonds, die bisher im Jahr 2035 enden sollte, bis zum Jahr 2050 verlängert werden.

Zuschuss aus Steuermitteln geplant

Wie schon lange diskutiert und gefordert, soll die Pflegeversicherung einen Bundeszuschuss aus Steuermitteln erhalten, um damit gesamtgesellschaftliche Aufgaben abzugelten: Der Bund will die Beitragszahlungen an die Rentenversicherung übernehmen für Menschen, die Angehörige pflegen. Weitere Aufgaben, die einen Steuerzuschuss auslösen, seien die beitragsfreie Versicherung von Kindern und nicht-erwerbstätigen Partnern sowie das Pflegeunterstützungsgeld. Zahlen zu einer möglichen Höhe des Zuschusses enthalten die Eckpunkte nicht.

Weitere Punkte im Papier:

  • Pflege zu Hause: Differenzierter als bisher wird in den Eckpunkten erläutert, wie die Pflege zu Hause für Angehörige und andere Pflegepersonen leichter organisierbar werden soll. Zunächst sollen ab 1. Juli 2021 die Leistungsbeträge für die ambulante Pflegesachleistung, das Pflegegeld sowie die Tagespflege um fünf Prozent erhöht werden. Ab dem Jahr 2023 soll dies regelhaft in Höhe der Inflationsrate geschehen. Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege sollen leichter kombinierbar sein: Aus beiden Elementen soll künftig ein Entlastungsbudget in Höhe von jährlich 3300 Euro gebildet werden können. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen sich künftig flexibler mit Pflegediensten darauf verständigen können, ob sie Leistungskomplexe und/oder Zeitkontingente für die Leistungserbringung wählen.
  • Geriatrische Rehabilitation: Bei Versicherten über 70 Jahren sollen die Kosten für Maßnahmen der geriatrischen Reha künftig zur Hälfte von der Pflegeversicherung getragen werden, bisher werden diese komplett von der GKV gestemmt. Damit kommt Spahn einer langjährigen Forderung von Experten nach, die auf ökonomische Fehlanreize an der Schnittstelle von GKV und Pflegeversicherung hinweisen: Denn in der GKV herrscht Wettbewerb, in der Pflegeversicherung ist dieser angesichts eines vollständigen Ausgabenausgleichs stark eingeschränkt. Als Folge werden mutmaßlich Reha-Potenziale von Versicherten nicht ausgeschöpft, weil Einsparungen bei den Pflegeausgaben, die durch Rehabilitation langfristig bewirkt werden können, in der Pflegeversicherung nicht wettbewerblich finanzwirksam werden. Außerdem plant das BMG laut den Eckpunkten, in der GKV eine neue Leistung – Übergangspflege nach Krankenhausbehandlung – einzuführen. Dies soll dem Ziel dienen, die Kurzzeitpflege zu stärken.
  • Umsetzung der Konzertierten Aktion Pflege: Wie bereits im Oktober angekündigt, müssen ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen künftig nach Tarif zahlen, wenn sie mit der Pflegeversicherung abrechnen wollen. Aufwerten will Spahn Pflegekräfte in der interprofessionellen Zusammenarbeit mit anderen Berufen. Sie sollen eigenständige Verordnungsbefugnisse erhalten, so etwa für Pflegehilfsmittel. Außerdem sollen die Möglichkeiten zur Heilkundeübertragung, die bereits seit dem Jahr 2012 bestehen, „gangbar“ gemacht werden. (eb)
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