Spanien dünnt Gesundheitssystem aus

Die Spanier schnallen den Gürtel noch einmal enger: Weil die Wirtschaft nicht auf Trab kommt, ist die neue Regierung zu radikalen Einsparungen gezwungen - auch im Gesundheitswesen. Dafür sollen die Patienten jetzt bluten.

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Mehr als 27 Milliarden Euro muss die neue Regierung von Spanien einsparen.

Mehr als 27 Milliarden Euro muss die neue Regierung von Spanien einsparen.

© ferkelraggae / fotolia.com

MADRID (mame). Defizitprobleme, Rezession und eine Rekordarbeitslosigkeit von derzeit 23 Prozent haben die neue spanische Regierung von Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) in der vergangenen Woche gezwungen, einen Haushalt für das Jahr 2012 vorzustellen, der radikale Einsparungen von mehr als 27 Milliarden Euro vorsieht.

Die EU lobte die milliardenschweren Extra-Einsparungen. Die Rotstift-Politik macht vor keinem Sektor halt: Im Bildungsbereich, im öffentlichen Dienst, Straßenbau, Forschung und Entwicklungspolitik, auch Spaniens König muss mit weniger Geld auskommen.

Besonders hart hat es das angeschlagene öffentliche Gesundheitssystem getroffen, das mit über 16 Milliarden Euro verschuldet ist. Die Regierung reduzierte das Budget noch einmal um 13,7 Prozent.

Die Situation im Gesundheitsbereich wird nun noch komplizierter: Nachdem die Finanzmärkte nicht so positiv wie erwartet auf den Sparhaushalt reagiert haben, sieht sich Madrid gezwungen, erneut die Sparschraube anzuziehen.

Erste Reformschritte Ende April

Am Montagabend kündigte die Regierung eine Reform im Bildungs- und Gesundheitssystem an, um dessen Ausgaben um weitere zehn Milliarden Euro zu senken.

Nähere Einzelheiten gab die Regierung nicht bekannt. Die Einsparungen im Gesundheitssystem sollen durch eine Beseitigung doppelter Zuständigkeiten von Behörden, die Rationalisierung vorhandener Mittel sowie durch mehr Effektivität in der Verwaltung erreicht werden.

Die regierende Volkspartei plant aus diesem Grund bereits Ende April erste Reformschritte einzuleiten. Damit sollen die Einsparungen kontrolliert werden können, ohne dabei die Zahlungsverspätungen für Laboratorien (525 Tage) und Zulieferunternehmen (473 Tage) noch weiter in die Höhe zu treiben.

Madrid setzt vor allem auf die Vereinheitlichung und Zentralisierung einiger Bereiche wie beispielsweise der gemeinschaftlichen Verhandlung von Medikamentenpreisen. Bisher hatte jede Regionalregierung für sich alleine Preise mit Pharmaunternehmen verhandelt.

Auch die staatlich angebotenen Basisbehandlungen sollen auf landesweiter Ebene vereinheitlicht werden. Zudem soll eine einheitliche Krankenkassen-Chipkarte Verwaltungskosten sparen.

Regionalregierungen konnten Ziele nicht einhalten

Gesundheitsministerin Ana Mato gibt den spanischen Autonomien bis Ende April Zeit, ihre Vorschläge zur Kostenreduzierung einzureichen.

Die 17 Regionalregierungen haben zwar die Hoheit über ihre Gesundheitsausgaben, konnten die dabei vorgegebenen Ziele der Zentralregierung jedoch im vergangenen Jahr nicht einhalten.

Madrids Regionalpräsidentin Esperanza Aguirre sprach sich sogar dafür aus, die Zuständigkeiten für Gesundheit, Bildung und Justiz an die Zentralregierung abzutreten und die regionalen Parlamente abzuschaffen, um 48 Milliarden Euro Staatsausgaben zu sparen.

Die Schwierigkeiten der regionalen Gesundheitssysteme sind allerdings sehr verschieden, weshalb die Regionen auch unterschiedliche Schwerpunkte bei der Schuldenreduzierung setzen wollen.

Während die touristische Mittelmeerregion Valencia die hohen Belastungen durch die Behandlung von nationalen wie internationalen Urlaubern reduziert sehen möchte, plant Katalonien die Einführung einer Rezeptgebühr oder sogar einer Krankenhauspauschale von zehn Euro pro Tag.

Kommen Rezept- und Praxisgebühren?

Auch die nordspanische Region Galicien sowie die Region Madrid denken über die Einführung von Rezept- und Praxisgebühren nach.

Doch die Mehrbelastung von Patienten ist unpopulär in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. So erwägt die spanische Regierung bei der Reform des überschuldeten Gesundheitssystems anscheinend eine höhere Belastung der Besserverdienenden.

Es müsse darüber diskutiert werden, ob Gesundheitsleistungen für jemanden kostenlos sein müssen, der 100.000 Euro verdient, sagte Wirtschaftsminister Luis de Guindos am Dienstag.

Die meisten gut verdienenden Spanier haben zwar eine private Krankenversicherung, nutzen für teure Behandlungen wie etwa von Krebs aber häufig das öffentliche Gesundheitssystem, kritisierte Guindos.

Der Protest ließ nicht lange auf sich warten. Für die linke Opposition ist dies ein Angriff auf die "Aufrechterhaltung des öffentlichen Gesundheitssystems".

Gesundheitsministerin Ana Mato versucht die Gemüter zu beruhigen: "Die Gesundheitsversorgung bleibt gratis". Es brauche aber einen Staatspakt, um das Gesundheitssystem zu reformieren.

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