Arzneimittelausgaben
Sparzange in der GKV nach der Wahl: Wo setzen Politiker an?
Die Nervosität steigt, je näher die Bundestagswahl rückt: Denn in der GKV könnten harte Schnitte nötig sein, um das Milliarden-Defizit zu decken. Drei Gesundheitspolitiker geben zu erkennen, wo sie anpacken wollen.
Veröffentlicht:Berlin. So viel ist sicher: Eine neue Bundesregierung wird bei Amtsbeginn ein veritables Loch in den GKV-Finanzen vorfinden. Wie groß dieses ausfällt, hängt maßgeblich vom Bundeszuschuss an die GKV ab. 21 Milliarden Euro hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits in Aussicht gestellt – doch die verbleibende Deckungslücke wird immer noch auf sieben bis zehn Milliarden Euro taxiert.
In der Vergangenheit sind die Arzneimittelausgaben (2020: 45,6 Milliarden Euro in der GKV) oft ein Revier gewesen, in dem Kostendämpfung erprobt wurde. Auch nach dem 26. September? „Man muss damit rechnen, dass im Arzneimittelsektor etwas passiert“, sagte am Dienstag Michael Hennrich, stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Fraktion bei einer Online-Veranstaltung des „Forum – Institut für Management“.
Er formulierte drei Kriterien, falls die Spar-Axt angesetzt wird: „Planungssicherheit, Rechtssicherheit und die Belohnung echter Innovationen“, sagte Hennrich bei der Podiumsdiskussion.
Biologika: Austausch in Apotheken?
Die SPD-Gesundheitspolitikerin Martina Stamm-Fiebich, Berichterstatterin unter anderem für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, erinnerte daran, dass das bisherige Regelungsregime für Biologika sich zum August 2022 ändern wird. Spätestens bis dann muss der Gemeinsame Bundesausschuss einen Beschluss zum Austausch ärztlich verordneter Biologika in Apotheken fassen.
Hennrich indes bekannte, er sei „kein großer Freund der Substitution von Biologika in Apotheken“. Ungeachtet des möglichen Einsparpotenzials würde er sich wünschen, „dass wir mit dem Thema Substitution sehr vorsichtig umgehen“.
Stamm-Fiebich wiederum brachte die Preisbildung neuer Arzneimittel im Anschluss an die frühe Nutzenbewertung als Reformfeld ins Spiel. Gentherapeutische Arzneimittel, die nur einmal verabreicht werden müssen, seien ein Beispiel dafür, dass die Betrachtung der Jahrestherapiekosten im Kontext des AMNOG nicht immer sinnvoll sei.
Rückwirkung des Erstattungsbetrags? „Realistisch“
Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche lenkte den Blick auf „extrem hochpreisige Arzneimittel“. „Interimspreise“ oder Pay for Performance-Modelle seien mögliche Instrumente, um mit diesen Herausforderungen umzugehen.
Eine viel diskutierte Sparoption besteht darin, den zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband verhandelten Erstattungspreis rückwirkend ab dem Tag der Zulassung gelten zu lassen. „Ich halte das für realistisch“, bekannte Hennrich. Bisher ist die Preisbildung für den Hersteller im ersten Jahr nach der Zulassung unreguliert.
Große Einigkeit zeigten die drei Fachpolitiker mit Blick auf den Generika-Markt. „Dort ist die Zitrone ausgepresst“, konstatierte Hennrich. Es gelte – auch als eine der Erfahrungen aus der Corona-Pandemie – die Balance neu zu justieren: „Wir brauchen innovative Rahmenbedingungen nicht nur für patentgeschützte Arzneimittel, sondern auch für das ‚Brot-und-Butter-Geschäft‘“, so der CDU-Politiker.
Seine SPD-Kollegin Stamm-Fiebich mahnte, es gelte die Abhängigkeiten bei den Lieferketten von Asien und China „zu brechen“. Kordula Schulz-Asche votierte dafür, auch Umwelt- und soziale Aspekte bei Lieferverträgen zu berücksichtigen.
Unterdessen erwartet der unparteiische Vorsitzende im GBA, Professor Josef Hecken, in den kommenden zwei bis drei Jahren kaum oder gar keine Auswirkungen durch die geplante europäische Nutzenbewertung (EU-HTA). Im Juli hatten sich EU-Parlament, EU-Kommission und die Staats- und Regierungschefs nach mehr als dreijährigen Verhandlungen auf einen Verordnungsentwurf geeinigt. Dieser muss im September noch abschließend vom EU-Parlament gebilligt werden.
Viele methodische Fragen sind ungeklärt
Bei der Preisfindung nach Paragraf 130a SGB V ändere sich vorläufig gar nichts: Die Mitgliedsstaaten blieben verantwortlich für Entscheidungen über Preisgestaltung und Erstattung. Unklarheiten erwartet Hecken hingegen mit Blick auf die methodischen Grundlagen einer EU-weit harmonisierten Nutzenbewertung.
Es sei offen, welche Endpunkte künftig auf EU-Ebene akzeptiert und welche Anforderungen an klinische Studien gestellt würden. Allerdings werde der GBA auch künftig – abweichend von der Bewertung durch EU-Instanzen – Vergleichstherapien anders festlegen oder Endpunkte abweichend davon bewerten können.
Ein solches, der EU-Bewertung nachgelagertes nationales Bewertungsverfahren werde allerdings Zeitprobleme im strikten AMNOG-Zeitregime produzieren: „Wie passt das zur 12-Monats-Frist im AMNOG-Verfahren?“, fragte Hecken, ohne eine Antwort parat zu haben. Von daher kommt es dem GBA-Chef zu Pass, dass der Bundesausschuss nunmehr offiziell Teil eines vorbereitenden Netzwerks ist, in dem diese Fragen geklärt werden sollen, berichtete Hecken am Dienstag.
Ohnehin sei ein zentrales Ziel der künftigen EU-Verordnung – die schnelle Verfügbarkeit neuer Arzneimittel – in Deutschland längst Realität, erinnerte der GBA-Chef. In Deutschland sind neue Onkologika im Schnitt 36 Tage nach der Zulassung in der Patientenversorgung verfügbar. In Italien dagegen dauert dies durchschnittlich 357 Tage, in Spanien 423, in Frankreich sogar 515 Tage.