Barmer-Report
Starkes Ost-West-Gefälle bei Heilmittel-Verordnungen
Nach den Reformen in der Heilmittelversorgung kommt bei Therapeuten mehr Geld an, zeigt ein neuer Barmer-Report. Bei den Verordnungen gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern, die laut Kassen-Chef Straub „rein medizinisch nicht erklärbar“ sind.
Veröffentlicht:
Physiotherapeutin bei der Arbeit: Heilmittelverordnungen schwanken laut einer Studie der Barmer bundesweit stark.
© Lumos sp / stock.adobe.com
Berlin. Die bundesweite Vereinheitlichung der Heilmittelversorgung und politisch gewollte positive Lohnentwicklung in der vergangenen Legislaturperiode haben dem Versorgungsbereich einen Umsatzsprung beschert.
Im Jahr 2020 haben die Krankenkassen nach Berechnungen der Barmer knapp drei Milliarden Euro mehr für einen „nahezu gleichen“ Umfang an physiotherapeutischen, podologischen, logopädischen, ergo- und ernährungstherapeutischen Leistungen ausgegeben als noch 2017.
Der Corona-Rettungsschirm für die Therapeuten trug 2020 demnach rund 810 Millionen Euro zum Umsatz der Heilmittelerbringer bei. Die Krankenkasse geht in ihrem Heilmittel-Report 2021 davon aus, dass diese Summe die pandemiebedingten Einnahmeausfälle im Versorgungsbereich um etwa das Doppelte überkompensiert habe. Insgesamt verzeichnete die GKV im Jahr 2020 ein Defizit von 2,65 Milliarden Euro.
Aufwertung therapeutischer Berufe als Ziel
Die Mehrumsätze der therapeutischen Praxen schlagen nicht bis auf die Löhne der angestellten Therapeuten durch. Bei den nicht im Krankenhaus angestellten Therapeutinnen und Therapeuten sei nicht einmal die Hälfte der Umsatzsteigerungen der Praxen angekommen, heißt es im Kassen-Report weiter. Ihre Gehälter seien im Berichtszeitraum um rund 20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hätten die Praxisinhaber bei nahezu gleicher Behandlungsmenge im Schnitt 43 Prozent mehr Umsatz verzeichnen können.
Ziel der Reformen in der Heilmittelversorgung und ihrer Vergütungsstrukturen seit 2017 ist die Aufwertung der therapeutischen Berufe, auch durch höhere Vergütungen für angestellte Kräfte. Dafür wurde 2019 die föderale Struktur der Vereinbarungen zur Heilmittelversorgung durch eine kollektivvertraglich bundesweit geltende Regelung ersetzt. Die Barmer rechnet vor, dass bei 80.000 Heilmittelerbringern in Deutschland der Mehrumsatz 2020 gegenüber 2017 im Schnitt 37.500 Euro betragen habe.
46 Prozent mehr Umsatz, 20 Prozent mehr Gehalt
Heruntergebrochen auf die Physiotherapie, die in nahezu der Hälfte aller Heilmittelverordnungen auftaucht, zeichnet die Barmer folgendes Bild. Die Umsätze der gesetzlichen Krankenkassen mit Physiotherapie stiegen von 4,65 Milliarden Euro im Jahr 2017 um 46,3 Prozent auf 6,67 Milliarden Euro im Jahr 2020. Im gleichen Zeitraum entwickelten sich die Gehälter der in Vollzeit tätigen angestellte Therapeuten verhaltener.
Ihr Jahreseinkommen wuchs im Schnitt von 22.700 im Jahr 2017 um 21,1 Prozent auf 27.500 Euro. Ausgewertet hat die zweitgrößte Krankenkasse in Deutschland dafür die Jahresentgeltmeldungen von 17.000 bei der Kasse versicherten in Praxen außerhalb von Krankenhäusern angestellter Physiotherapeuten.
Die Autoren des Reports stellen fest, dass nach wie vor in Krankenhäusern besser bezahlt werde. 2020 machte das im Unterschied zu den Physiotherapeuten in den Praxen im Schnitt 14 Prozent aus.
In den neuen Ländern werden Heilmittel häufiger verordnet
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern werden mehr Physiotherapien und Ergotherapien verordnet als im Rest Deutschlands, vermerkt der Report der Barmer. In diesen drei Ländern liegen die Heilmittelausgaben bis zu 42 Prozent über dem Bundesschnitt. Ganz entgegengesetzt verläuft die Entwicklung in Bremen, wo die Ausgaben den Schnitt um 29 Prozent unterschreiten (siehe nachfolgende Karte).
„Die deutlichen regionalen Unterschiede beim Einsatz von Heilmitteln sind rein medizinisch nicht erklärbar“, kommentierte Barmer-Chef Professor Christoph Straub dieses Ergebnis. Bei den physiotherapeutischen Leistungen dominiere in den östlichen Bundesländern die manuelle Therapie, in den westlichen Bundesländern werde hingegen in erster Linie Krankengymnastik verordnet.
Die Ursachen für die regional unterschiedlichen Therapieentscheidungen müssten ebenso wie die Effektivität der therapeutischen Anwendungen weiter untersucht werden.
Bei der Logopädie ergibt sich ein anderes Bild. Hier liegt Nordrhein-Westfalen 18 Prozent über dem Schnitt, während wiederum Bremen die wenigsten Verordnungen unter allen Bundesländern aufweist, konkret minus 19 Prozent. (af)