Erste Lesung im Parlament

Sterbehilfe: „Strafgesetzbuch der gänzlich falsche Ort dafür“

Sensibles Thema, mehrere Gesetzesvorschläge: Der Bundestag hat am Freitag die Beratung zur Neuregelung der Suizidbeihilfe aufgenommen. Einfach dürfte die Entscheidungsfindung nicht werden.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Die Suizidbeihilfe muss neu geregelt werden. Am Freitag beschäftigte sich der Bundestag in erster Lesung mit den drei vorliegenden Gesetzentwürfen.

Die Suizidbeihilfe muss neu geregelt werden. Am Freitag beschäftigte sich der Bundestag in erster Lesung mit den drei vorliegenden Gesetzentwürfen.

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Berlin. Die Abgeordneten des Bundestags sind am Freitag in die heiße Phase der Debatte um die Neuregelung der Suizidassistenz eingetreten. Ärzte erwarten den Ausgang mit Spannung, da sie unmittelbar von möglichen Gesetzesänderungen betroffen sind.

Dem Parlament liegen dazu mehrere fraktionsoffene Entwürfe vor. Dazu gehört ein von 85 Abgeordneten aller Fraktionen – mit Ausnahme der AfD – vorgelegter Gesetzentwurf „zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ um den SPD-Politiker Professor Lars Castellucci und die Grünen-Politikerin und Ärztin Dr. Kirsten Kappert-Gonther.

Darüber hinaus wurden am Freitag erstmals ein Entwurf mit dem Titel „zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ sowie ein Vorschlag „zur Regelung der Suizidhilfe“ beraten. Ende April hatte der Bundestag bereits eine breite Orientierungsdebatte zum Thema Suizidbeihilfe geführt. Bei der ersten Beratung der Gesetzesentwürfe am Freitag waren die Parlamentsreihen eher spärlich besetzt.

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Kirchen warnen vor „regulärer Dienstleistung“

Die kirchlichen Sozialverbände Caritas und Diakonie hatten vor Beginn der Bundestagsdebatte erklärt, eine Regelung zum assistierten Suizid dürfe Suizidangebote nicht „zu regulären Dienstleistungen“ machen. Zudem müsse ein wie auch immer geartetes Gesetz Ärzten und Pflegekräften zusichern, am assistierten Suizid nicht mitwirken zu müssen.

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa hob die Bedeutung der Suizidprävention hervor. Suizidprävention sei umso wichtiger, „als es in unserer Gesellschaft zunehmend als Wohltat gepriesen wird, selbstbestimmt aus dem Leben scheiden zu können“, so Welskop-Deffaa. Alte und Kranke dürften sich aber nicht dazu gedrängt fühlen, über Suizid nachdenken zu müssen, weil sie etwa um hohe Pflegekosten wüssten.

Anstieg bei Suiziden wegen Corona?

Schätzungen zufolge nehmen sich in Deutschland jedes Jahr etwa 9000 Menschen das Leben. Die Zahl der Suizidversuche liegt Experten zufolge etwa zehnmal so hoch. Der überwiegende Teil der Suizide findet im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen statt. Erfahrungen anderer Länder deuteten darauf hin, dass mit dem Angebot der Suizidassistenz die Suizidrate noch einmal steige, hatte die Ärztekammer Nordrhein kürzlich zu bedenken gegeben.

Dass die Corona-Pandemie zu mehr Suiziden geführt hat, verneinen Wissenschaftler bislang. Eine Studie der Universitätsmedizin Leipzig, des Uniklinikums Ulm und der Universität Wien konnte jedenfalls keinen Anstieg feststellen. Auch Selbsttötungen unter älteren Menschen aus Einsamkeit hätten nicht zugenommen. Die Forscher werteten Daten von rund elf Millionen Einwohner aus mehreren Bundesländern aus.

Baehrens: Suizid muss seltene Ausnahme bleiben

Die SPD-Politikerin Heike Baehrens, die den Antrag Kappert-Gonther/Castellucci unterstützt, betonte am Freitag, die freie Entscheidung zum Suizid sei „zu respektieren“. Dennoch dürfe die Selbsttötung nicht zum „gesellschaftlichen Normalfall“ werden. „Es muss die seltene Ausnahme bleiben.“

Es brauche daher ein „abgestuftes Schutzkonzept“, zumal Suizidwünsche „veränderbar“ seien. Die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ sei grundsätzlich unter Strafe zu stellen.

Die meisten Suizidwünsche seien „volatil“, pflichtete der CSU-Abgeordnete und Münchner Hausarzt Stephan Pilsinger bei. Menschen mit Suizidgedanken müssten vor „Missbrauch“ dubioser Sterbevereine geschützt sein – daher sei der Rückgriff auf das Strafgesetzbuch richtig. Suizidbeihilfe solle möglich sein, aber eben nicht gefördert werden.

Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr betonte dagegen in einer sehr persönlich gehaltenen Rede, ihr laufe es beim Gedanken, die Suizidbeihilfe erneut unter Strafe stellen zu wollen, „eiskalt den Rücken herunter“. Das sei „alter Wein in neuen Schläuchen“. Beratung sei die beste Suizidprävention. Dennoch müsse der Gesetzgeber das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ endlich ernstnehmen und Menschen, die sich für diesen Weg entschieden, helfen.

„Wir reden hier über ein Grundrecht“

Wenngleich seit dem Verfassungsgerichts-Urteil vom Februar 2020 die Beihilfe zur Selbsttötung wieder legal sei, bestünden doch etliche Hürden. Menschen, die sterben wollten, sei es kaum möglich, Medikamente zur Selbsttötung zu bekommen. Und Menschen, die dieser vulnerablen Gruppe helfen wollten, fürchteten sich noch immer vor rechtlichen Konsequenzen. Es sei an der Zeit, diesen Zustand zu beenden, so Helling-Plahr.

Das Strafrecht sei der „gänzlich falsche Ort“, um die Suizidbeihilfe regeln zu wollen, zeigte sich auch der Grünen-Politiker Lukas Benner überzeugt. Das Recht auf Sterben sei ein Grundrecht, das bislang nicht ausreichend geschützt sei. Deshalb sei hier anzusetzen – nicht im Strafrecht. Benner unterstützt den Entwurf um die Grünen-Abgeordnete und frühere Bundesministerin Renate Künast.

Zugang zu Hilfsmitteln muss gewährleistet sein

Dem Vorschlag der Künast-Gruppe zufolge soll danach unterschieden werden, ob Sterbewillige ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder „aus anderen Gründen“. Im ersten Fall ist Ärzten bei der Prüfung, ob das Hilfsmittel zur Selbsttötung bereitgestellt wird, eine „entscheidende Rolle“ zugedacht.

Andernfalls sollen höhere Anforderungen wie etwa die Dokumentation der Dauerhaftigkeit eines selbstbestimmten Entschlusses errichtet werden und der Ärzteschaft keine zentrale Rolle zugewiesen sein.

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