Personalplanung
Tarifvertrag an der Charité sorgt für Ärger
Mitte 2016 haben die Charité und Verdi einen wegweisenden Tarifvertrag geschlossen. Jetzt will die Gewerkschaft nachverhandeln, die Klinikleitung sieht dafür keinen Anlass.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Tarifvertrag zur Mindestpersonalausstattung in der Pflege an der Berliner Uniklinik Charité droht zu scheitern. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert, dass er nicht umgesetzt wird. Darüber deuten sich nun neue Tarifkonflikte an.
Knapp ein Jahr nach dem Abschluss des Tarifvertrags, der in der Berliner Politik als "Leuchtturm" gefeiert wurde, zieht Verdi eine enttäuschende Bilanz: Seit Inkrafttreten des Vertrages seien über 200 Überlastungsanzeigen aus 30 Stationen und Bereichen eingegangen. Auf der Hälfte der Normalstationen fehle mindestens eine Pflegekraft, und bei 30 Prozent würden die vereinbarten Personaluntergrenzen um zehn bis 25 Prozent unterschritten. Die Zahl der Nachtdienststellen sei um 20 gesunken, statt wie vereinbart um 40 zu steigen. "Selbst wenn ein Personalzuwachs stattgefunden hat, wurde dieser zu einem großen Teil durch die Reduzierung von LeiharbeitnehmerInnen kompensiert", so Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel.
Den Angaben zufolge hat die Charité die Zahl der Leiharbeitskräfte um zwei Drittel reduziert. Zur Personalentwicklung in der Intensivpflege habe sie noch keine Zahlen vorgelegt, obwohl sie dazu gemäß Vertrag bereits im Oktober 2016 verpflichtet gewesen wäre. Auch eine Workflow-Analyse für die Bereiche, in denen keine Personaluntergrenzen vereinbart sind, steht laut Verdi noch aus.
Vorwürfe der Gewerkschaft zurückgewiesen
Die Charité weist die Vorwürfe der Gewerkschaft zurück und legt eigene Zahlen vor. Bestätigt wird, dass es im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Überlastungsanzeigen gegeben habe. Die Zahl sei jedoch seit Oktober (222 pro Monat) kontinuierlich auf zuletzt 56 im Januar dieses Jahres gesunken. Bei 1717 Vollkräften im stationären Bereich wurde eine Unterdeckung von 69 Stellen errechnet. Das bedeute eine Abweichung von vier Prozent.
Nachtdienste seien zum Umzug reduziert worden, befänden sich jetzt aber wieder auf Vorjahresniveau. Die Workflowanalyse für die Notaufnahmen werde durch externe Berater getätigt, die Ausschreibung dazu laufe, heißt es. "Wir können die genannten Zahlen nicht nachvollziehen und halten die Äußerungen für interessengetrieben", so Pressesprecher Uwe Dolderer. Verärgert über die Vorwürfe zeigt sich auch der Ärztliche Direktor der Charité, Professor Ulrich Frei. Bei Abschluss des Tarifvertrages sei mit einem Personalmehrbedarf von etwa 200 Vollkräften gerechnet worden. Diesen Personalaufbau habe die Charité trotz des schwierigen Arbeitsmarktes mit Jahresbeginn erreicht.
"Die Charité ist entschlossen, alle verfügbaren Kräfte einzustellen", schreibt er in einer Stellungnahme. Seiner Auffassung nach ist die Gewerkschaft mit dem Tarifvertrag unzufrieden, weil ihr kurzfristige Eingriffe in Personalführung und Bettenkapazität verweigert worden seien. Er wirft Verdi vor, "der immer noch notwendigen Mitarbeitergewinnung durch die Behauptung unverändert schlechter Bedingungen zu schaden". Verdi will den Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz nachverhandeln. Doch das wolle die Arbeitgeberseite nicht.
Streit um Personalausstattung geht weiter
"Neue Verhandlungen werden dadurch erschwert, dass die Charité plant in den Kommunalen Arbeitgeberverband einzutreten", so Kunkel. Verdi begrüße zwar die Stärkung von Flächentarifverträgen. "Aber der KAV hat seinen Mitgliedern verboten über Tarifverträge wie den an der Charité zu verhandeln", so Kunkel weiter. Auch von Bundesebene erwartet die Berliner Gewerkschaft vorerst keine Unterstützung. Auf die von der Expertenkommission des Bundesgesundheitsministeriums Anfang März geforderte Festlegung von Mindestvorgaben für die Personalausstattung in Krankenhäusern will die Berliner Gewerkschaft nicht warten.
Kunkel bewertet den Beschluss als "etwas unklaren Arbeitsauftrag an die Selbstverwaltung von Krankenkassen und Krankenhäusern". Beide Seiten seien bisher keine Befürworter von Personalmindestgrenzen. "Wir glauben, dass ohne weiteren Druck aus den Betrieben in der Selbstverwaltung nichts passieren wird", so Kunkel. Eine positive Seite an dem Beschluss sieht der Gewerkschaftssekretär jedoch: "Erstmals erkennt eine Bundesregierung an, dass ein Zusammenhang zwischen Pflegepersonalausstattung und Patientenwohl besteht."