Kritik an Pflegereform
Teuer, luftleer und ohne Vision
Für Millionen Pflegebedürftige gibt es ab 2015 mehr Leistungen. Für die Koalition ist dies nur der erste Schritt in der Pflegepolitik. Der große Wurf ist damit noch nicht ganz gelungen, sagt die Opposition.
Veröffentlicht:BERLIN. Für die Betreuung der rund 2,6 Millionen Pflegebedürftigen steht ab dem 1. Januar mehr Geld zur Verfügung: Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag am Freitag das Pflegestärkungsgesetz und den Pflegefonds beschlossen.
Die Reform kostet die Beitragszahler ab 2015 rund 3,6 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Dafür wird der Beitragssatz Anfang 2015 von 2,05 Prozent um 0,3 Punkte angehoben, 2017 um weitere 0,2 Punkte.
"Ausgangspunkt ist der Wunsch der Menschen, in den eigenen vier Wänden gepflegt werden zu können", sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) in der Debatte am Freitag.
Dabei spannte er einen historischen Bogen: Vor rund 20 Jahren - im April 1994 - beschloss der Bundestag die Pflegeversicherung, jetzt sei die nächste Stufe der Verbesserungen der Sozialleistungen in Kraft, so Gröhe.
Weitere Projekte in Arbeit
Damit sollen die gesetzgeberischen Anstrengungen in dieser Legislaturperiode noch nicht vorbei sein: Beide Regierungsfraktionen kündigten an, dass dies in der Pflegepolitik nur ein erster Schritt sei.
Mit der Familienpflegezeit, die am vergangenen Mittwoch im Kabinett beschlossen wurde und ein Projekt des Bundesfamilienministeriums ist, sollen pflegende Angehörige einen Rechtsanspruch auf zehn Tage Auszeit vom Job bekommen. In dieser Zeit sollen sie rund 90 Prozent vom Nettolohn erhalten.
Außerdem werde im Gesundheitsministerium das zweite Pflegegesetz geplant, in dem dann der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definiert werde. Dies könnte 2017 so weit sein - das Jahr der nächsten Bundestagswahl.
Eine neue Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll in den kommenden Monaten vor allem an der Definition der Rolle der Kommunen bei der Pflege arbeiten, kündigte SPD-Pflegeexpertin Hilde Mattheis an.
Die Opposition kritisierte in der Plenardebatte am Freitagmorgen das Gesetz deutlich: "Das schwarz-rote Schweigen beim Pflegebegriff zeigt die verfehlte Politik der Regierung", wetterte Katja Kipping von der Linken.
"Die Reform verkörpert keine Idee, ist teuer, luftleer und hat keine Vision", urteilte Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. "Mit der Reform wird das Vertrauen verspielt und Aktionismus simuliert", so Scharfenberg weiter.
Schwierige Lage der SPD
In der Debatte wurde deutlich, wie sehr sich SPD und Grüne zwar bei den grundsätzlichen Ansätzen in der Pflegepolitik nahe stehen, aber die SPD durch den Koalitionszwang gebunden ist.
"Wir waren lange in diesem Dreiklang verbunden: Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Unterstützung für pflegende Angehörige und Ausbildung der Pflegefachkräfte.
Wenn sie den Blick nicht an Fraktionsgrenzen verstellen, dann können sie mit uns diesem Dreiklang zustimmen", sagte Mattheis.
Die Opposition ließ dieser Appell kalt: Grünen-Expertin Scharfenberg konterte: "Jens Spahn versucht sich, mit dem Pflegefonds ein Denkmal zu bauen. Und die SPD ist sich nicht zu schade, da auch noch zu unterstützen."
Nach den Plänen der großen Koalition sollen in den bei der Bundesbank angesiedelten Fonds jedes Jahr 1,2 Milliarden Euro fließen. Je nach Zinsentwicklung sollen bis zu 42 Milliarden Euro angespart werden.
Damit soll genug Geld da sein, wenn ab 2035 die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation ins Pflegealter kommen.
Das erzürnt die Linken: "Damit schicken Sie die Beitragszahler in das globale Finanzkasino, das Geld wird dann für den Pflegebedürftigkeitsbegriff fehlen", sagte Kipping.
Jens Spahn, gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, warf Kipping in seiner Rede "Finanzfantasien" vor. "Dieser Fonds ist zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungssystem darauf angelegt, gezielt eine Rücklage für diese Zeit zu bilden. Das ist vor allem ein Schutz für künftige Pflegebedürftige."
Über das Gesetz muss der Bundesrat abstimmen - es wird davon ausgegangen, dass dies eine reine Formsache werden wird. (bee)