Sterbehilfe
Theologe stärkt BÄK den Rücken
In einer Woche werden die kontroversen Positionen zur Sterbehilfe bei der Beratung im Bundestag ausgetauscht. Die Bundesärztekammer spricht sich klar gegen eine Freigabe aus. Jetzt erhält sie Unterstützung aus der Theologie.
Veröffentlicht:KÖLN. Die Freigabe der organisierten Sterbehilfe und des ärztlich assistierten Suizids würde die Situation von Patienten, Ärzten und Angehörigen grundlegend verändern. Davon geht der katholische Moraltheologe Professor Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg aus.
"Der ärztlich assistierte Suizid bekäme den Anschein von Normalität und gesellschaftlicher Akzeptanz", sagte er auf einer Fachtagung der Caritas Nordrhein-Westfalen und der Caritas-Akademie Köln-Hohenlind.
Der Bundestag wird am kommenden Donnerstag die fünf Gesetzesvorlagen beraten, die zum Teil fraktionsübergreifende Parlamentariergruppen und Einzelabgeordnete bislang eingebracht haben.
Subtiler Zwang befürchtet
Bayern zeigt sich liberal
Vor einer Überregulierung der Sterbehilfe hat der bayrische Ärztekammerpräsident Dr. Max Kaplan gewarnt. Zehn Landesärztekammern verbieten den Ärzten per Berufsrecht, Todkranken bei der Selbsttötung zu assistieren. Bayern und sechs weitere Kammern verzichten auf das Verbot.
Kaplan warb am Mittwoch im Gespräch mit „dpa“ für die bayrische Lösung. „Ausnahmesituationen kann man juristisch häufig nicht regeln“, sagte Kaplan. Liberale Töne kommen auch aus der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Die CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl hat sich bei der Suizidassistenz gegen berufsrechtliche Verbote ausgesprochen. Im Bundestag haben Abgeordnetengruppen insgesamt fünf Gesetzesvorschläge erarbeitet, die am 2. Juli erstmals debattiert werden. (af)
Aus Sicht Schockenhoffs könnte die Freigabe einen "subtilen Zwang" auf Patienten und Angehörige ausüben. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Kostendebatte im Gesundheitswesen und dem häufigen Verweis auf die hohen Kosten der Versorgung in den letzten Lebensjahren. "Das hat oft den Unterton: Da ist doch wohl ein Einsparpotenzial."
Die Einbeziehung der Ärzte würde die Sterbehilfe aufwerten, fürchtet Schockenhoff. "Wenn Ärzte Experten für den freiwilligen Tod werden, würde die Suizidbeihilfe zum Gütesiegel für eine erwartbare, professionelle Tätigkeit geadelt." Schockenhoff hat Verständnis dafür, wenn sich Ärzte gegen diese Entwicklung wehren.
"Man darf den Suizid nicht auf klinisch saubere Weise institutionalisieren", betonte der Präsident der Bundesärztekammer Professor Frank Ulrich Montgomery. Er möchte nicht, dass Ärzte demnächst für alles zuständig sind, von der Schönheits-OP bis zum Suizid. "Wenn das das Bild der Zukunft ist, dann haben wir als diejenigen, die eine gewisse Führungsrolle haben, versagt", sagte er.
Der ärztlich assistierte Suizid hätte weit reichende Konsequenzen für die Ärzteschaft. "Wir müssten darüber forschen, lehren, weiterbilden, wir müssten das in die Haftpflichtversicherung aufnehmen und wir müssten eine Gebührenordnungs-Ziffer entwickeln", sagte Montgomery.
Nach Einschätzung des Erzbischofs von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, ist die "an sich wertvolle" Kategorie der Selbstbestimmung am Lebensende fehl am Platz. "Selbstbestimmung als Selbstverwirklichung und Selbstbehauptung hat mit dieser Phase des Lebens wenig zu tun."
Stattdessen gehe es darum, die Art und Weise des Sterbens würdevoll zu gestalten, sagte Woelki. "Am Lebensende schwach zu sein, beeinträchtigt nicht die Würde, allein gelassen werden dagegen schon."
Auch wenn der ärztlich assistierte Suizid gesetzlich erlaubt sei, bleibe er für die Ärzte eine Herausforderung, sagte die Anästhesistin Dr. Ursula Wetzels von der Palliativstation St. Joseph im belgischen Moresnet. In Belgien ist die Sterbehilfe seit 2002 unter bestimmten Bedingungen straffrei, wenn sie ein Arzt vornimmt.
Keine leichte Entscheidung
"Es gibt das Gesetz, aber es geht um die einmalige Beziehung zwischen Arzt und Patient", stellte sie klar. Die Sterbehilfe stehe Patienten nur offen, wenn sie ein geregeltes Verfahren durchliefen. "Allein dieses Prozedere lässt die allermeisten Patienten von der Anfrage nach Sterbehilfe zurücktreten - aber nicht alle", berichtete Wetzels.
Ob man als Arzt den Wunsch des Patienten erfülle oder nicht hänge von der jeweiligen Situation ab. "Man kann nicht sagen, ich bin dafür oder dagegen." Leicht sei die Entscheidung nie. "Sterbehilfe ist und bleibt die Überschreitung einer ethischen Grenze, sie muss eine Ausnahme bleiben", sagte Wetzels.
Aber: "In Ausnahmefällen kann Sterbehilfe ein letzter Dienst am Patienten sein und ein Ausdruck von Respekt und Menschlichkeit."Wenn es tatsächlich um Einzelfälle gehe, könne man sich auf das Gewissen der Menschen verlassen, findet Moraltheologe Schockenhoff.
"Das macht mir Angst"
"Für Einzelfälle ein Gesetz zu machen, ist eine falsche rechtspolitische Strategie", sagte er mit Blick auf die aktuelle Debatte in Deutschland.Professor Lukas Radbruch, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, sieht die Gefahr, dass es nach einer gesetzlichen Regelung nicht bei Einzelfällen bleiben wird.
Die Erfahrung zeige, dass in Ländern mit einer gesetzlichen Regelung die Zahlder Sterbehilfe-Fälle steige. "Es wird zur Norm", warnte er. In Deutschland verlagere sich nach seiner Wahrnehmung die Diskussion bereits.
Es gehe nicht mehr nur um die Frage, ob der ärztlich assistierte Suizid erlaubt werden solle, sondern auch bei wem und wie oft. "Das macht mir Angst", sagte Radbruch.