Thüringen holt Medizinstudenten in die Realität

Wer Medizin studiert, wird nicht unbedingt Arzt. Ein neues Mentoren-Projekt soll den Studenten in Thüringen nun zeigen, wie spannend der ärztliche Alltag sein kann.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Konfrontation mit der Praxis: Ein Medizinstudent bereitet eine Blutabnahme vor.

Konfrontation mit der Praxis: Ein Medizinstudent bereitet eine Blutabnahme vor.

© dpa

JENA. Der Ruf der Pharmabranche ist für viele Medizinstudenten verlockend. Gleichzeitig wirken die Klagen vieler Ärzte über Bürokratie, Honorarbudgets und Überlastung abschreckend.

Das Rezept der Landesärztekammer in Thüringen dagegen lautet: Realitäts-Check. Medizinstudenten an der Universität Jena sollen sich nun selbst ein Bild vom ärztlichen Alltag machen und eigene Erfahrungen sammeln.

Auf Initiative der Vizepräsidentin Ellen Lundershausen wurde ein Mentoren-Projekt aufgelegt, damit der Nachwuchs rechtzeitig "mögliche Anforderungen, aber auch Freude sowie Erfüllung" im Arztberuf kennenlernt.

Bereits 15 Ärzte aus sieben Fachbereichen haben sich als Mentoren zur Verfügung gestellt. Sie wollen ihre Zöglinge, auch Mentées genannt, aus dem Hör- in den OP-Saal holen - oder eben die Praxis.

Kammer erhofft sich weniger Vorurteile

Wenn möglich das ganze Studium lang, sollen sie regelmäßig einen halben oder einen ganzen Tag hospitieren. Zielgruppe sind vor allem Studierende bis Mitte des Studiums, also ein Zeitpunkt, bei dem manchmal noch nicht klar ist, in welche Richtung man gehen möchte, erklärt LÄK-Sprecherin Ulrike Schramm-Häder. Später komme ohnehin das PJ mit dem unmittelbaren Praxisbezug.

Rund 230 Medizinabsolventen pro Jahr in Thüringen

Medizinstudierende und Absolventen seit dem Jahr 2002
Jahr Studierende Studien-
anfänger
Absolventen
2002 1.652 263 145
2003 1.726 289 158
2004 1.720 264 198
2005 1.778 265 182
2006 1.824 260 193
2007 1.843 263 231
2008 1.859 272 233
2009 1.858 260 244
2010 1.702 260 232
Quelle: Ärztekammer Thüringen, Tabelle: Ärzte Zeitung

Mathias Wesser, Präsident der Thüringer Landesärztekammer, erhofft sich vom Programm einen Abbau von Vorurteilen: "Die Idee, junge Menschen mit dem Praxis- oder Klinikalltag vertraut zu machen, trägt mit Sicherheit dazu bei, den Übergang vom Studium in den Arbeitsalltag, von der Theorie zur Praxis, besser zu meistern und auch Freude am Arztberuf zu entwickeln."

Dies sei wichtig, so Wesser, um der Pharmaindustrie das Abwerben zu erschweren. Wie hoch die Wechselquote tatsächlich ist, wird in Thüringen zwar nicht erfasst. Bundesweit haben sich jedoch laut Bundesärztekammer zwischen 2001 und 2009 insgesamt 9182 Medizinabsolventen.

Das entspricht einen Anteil von zwölf Prozent, nach dem Studium, das immerhin eines der kostspieligsten für den Staat ist, gegen den Arztberuf entschieden.

Allgemeinarzt, ein "überforderter Generalist"

Die Ursachen dafür finden sich zum Teil bei den Universitäten selbst, die zwar Schulmedizin auf höchstem Niveau vermitteln - über alltägliche Probleme in einer Praxis aber nur wenig.

Hier setzt das Mentorenprogramm an. Es sei Teil einer langfristigen Strategie gegen den Ärztemangel, erklärt Wesser. Würde jeder der etwa 230 Medizinabsolventen der Uni Jena jedes Jahr auch in Thüringen praktizieren, wäre der Mangel vom Tisch.

Es ist nicht das erste Projekt dieser Art im Freistaat. Das Institut für Allgemeinmedizin unter Professor Jochen Gensichen hat seinen Studenten bereits vor einem Jahr Hausärzte als Mentoren an die Seite gestellt.

Gerade in diesem Fachbereich ist die Skepsis sehr groß. Es herrscht das Klischee vom überforderten Generalisten. Das Programm der Ärztekammer ist nun für alle Fachbereiche angelegt.

Weitere Mentoren werden gesucht. Neben dem Einblick in den Berufsalltag sollen sie auch Fragen zur Studien- und Karriereplanung beantworten helfen. Die Vermittlung von Mentoren und Mentées organisiert die Landesärztekammer.

Im vergangenen Jahr waren 1702 Studierende in Thüringen im Fach Medizin eingeschrieben.

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