Fortbildung in Deutschland
Ukrainische Ärzte trainieren Versorgung für den Kriegseinsatz
Gearbeitet wird unter anderem an Schweineschwarten: Mediziner aus der Ukraine üben in Deutschland die Versorgung von Soldaten mit schweren Verletzungen. Dabei lernen deutsche Ärzte auch viel von ihren ukrainischen Kollegen.
Veröffentlicht:Frankfurt/Main. Narkoseärztin Iryna aus der Ukraine schneidet mit einem elektrisch erhitzen Messer, das wie ein Stift aussieht, in eine Schweineschwarte. Es riecht unangenehm nach verbranntem Fleisch. Die 29-Jährige aus dem Westen des Landes schneidet zögerlich – und nicht tief genug, wie der Ausbilder erklärt: So könnte sie im Ernstfall das verbrannte Gewebe, das zu einer harten Kruste zusammenschnurrt, nicht auseinanderziehen.
Der sogenannte Entlastungsschnitt ist eines der Verfahren, die die Teilnehmer der zweitägigen Fortbildung an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Frankfurt am Main üben. 16 Medizinerinnen und Mediziner aus der Ukraine sind dafür nach Deutschland gekommen.
Erfahrungen von der Front
Igor ist Chirurg, seit eineinhalb Jahren arbeitet er als Militärarzt an der Front im Osten des von Russland überfallenen Landes. Auf dem Arm des Co-Ausbilders, der in einem durchsichtigen Handschuh steckt, zeichnet der 32-Jährige ein, wo er die Haut aufschneiden würde. Auf dem Handrücken ist das besser als in der Handfläche, erklärt der Kursleiter.
Als Narkoseärztin in einem Regionalkrankenhaus hat Iryna selten mit Brandverletzten zu tun. Auch Igor muss an der Front meist Schussverletzungen versorgen, wie er berichtet. Insgesamt habe aber etwa jeder zehnte Schwerverwundete in der Ukraine auch eine thermische Verletzung, sagt Erwin Kollig vom Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz.
Die Organisatoren des Workshops sehen die Ukrainer daher nicht nur als Schüler, denen man etwas beibringen muss. Die Fortbildung sei „ein Austausch auf Augenhöhe“, sagt Matthias Münzberg, Medizinischer Geschäftsführer der BG Unfallklinik: Die deutschen Ärzte würden viel von den Erfahrungen der ukrainischen Kollegen lernen. Der Ärztliche Direktor der BG Klinik Ludwigshafen, Paul Alfred Grützner, ergänzte, man sei „demütig, was die Kollegen dort leisten“.
„Entscheidend sind die ersten 48 Stunden“
Ihre Erfahrungen seien auch wichtig für die deutschen Streitkräfte, sagt Bundeswehr-Arzt Kollig. Bei Einsätzen in Krisengebieten habe man „thermische Verletzungen als unterschätzte kennenlernen müssen“. Weil großflächige Brandverletzungen im zivilen Leben selten seien, werde das Thema in der unfallchirurgischen Ausbildung „eher stiefmütterlich behandelt“.
Rund 20 Zentren für schwere Brandverletzungen gibt es in Deutschland, acht davon sind berufsgenossenschaftliche Unfallkliniken wie in Frankfurt und Ludwigshafen. Nach Angaben der BG-Kliniken werden rund 80 Prozent aller Schwerstbrandverletzten in Deutschland in BG-Kliniken versorgt. Dafür braucht es „eine unfassbar teure Infrastruktur und besonders geschultes Personal“, wie Grützner erklärt.
„Entscheidend sind die ersten 48 Stunden“, erklärt Christoph Hirche von der BG-Unfallklinik Frankfurt, der den Workshop organisiert hat. Die Versorgung ist äußerst diffizil: Der verbrannte Patient müsse warm gehalten, die verbrannte Körperteile hingegen müssten gekühlt werden. Der Körper dehne sich aus „wie bei einem Michelinmännchen“, während die verbrannte Haut zusammenschrumpfe.
Frontschockräume statt Rettungshubschrauber
Während in Deutschland Patienten mit großflächigen Verbrennungen mit einem Rettungshubschrauber sofort in eine Spezialklinik geflogen werden, arbeiten die Kollegen in der Ukraine in Gräben, Tunneln und Höhlen hinter der Front, wie Hirche erklärt: Am Donnerstagabend haben die ukrainischen Gäste den deutschen Ärzten Bilder und Videos von solchen „Frontschockräumen“ gezeigt.
Weil ein Transport in der Luft zu gefährlich ist, werden die Patienten von dort aus auf dem Landweg mit umgebauten Jeeps in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht, wie Bundeswehr-Arzt Kollig berichtet. Auch Chirurg Igor will nach dem Workshop an die Front zurückkehren, obwohl er kürzlich selbst verwundet wurde. „Vielleicht könnte ich noch mehr tun“, sagt er, „aber ich tue mein Möglichstes.“ (dpa)