Späte Ehrung

Unsterblich durch Tumorzellen: Henrietta Lacks

D8e Amerikanerin Henrietta Lacks starb mittellos mit 31 Jahren. Ihr entnommene Zellen halfen über die Jahrzehnte dabei, Medikamente gegen die unterschiedlichsten Krankheiten zu entwickelt. Jetzt setzte ihr die WHO ein spätes Denkmal.

Von Christiane Oelrich Veröffentlicht:
Die Familie von Henrietta Lacks bei der Einweihung der Bronzestatue in Bristol Anfang Oktober anlässlich des 70. Todestags von Lacks. Geschaffen wurde die Skulptur von der Künstlerin Helen Wilson-Roe (2. v. l.).

Die Familie von Henrietta Lacks bei der Einweihung der Bronzestatue in Bristol Anfang Oktober anlässlich des 70. Todestags von Lacks. Geschaffen wurde die Skulptur von der Künstlerin Helen Wilson-Roe (2. v. l.).

© Ben Birchall/picture alliance / empics

Genf. Eine elegante junge Frau lächelt auf dem Foto in die Kamera. Da hatte Henrietta Lacks ihr Leben noch vor sich. Sie war verheiratet, bekam fünf Kinder, doch dann setzte ein aggressiver Krebs ihrem Leben ein frühes Ende. Die Amerikanerin starb 1951, mit 31 Jahren.

Und hat der Welt doch ein beispielloses Geschenk gemacht: „Sie hat unsterbliche Zellen hinterlassen, die die Welt verändert haben“, sagte ihr Enkel, Alfred Carter, kürzlich in Genf. Dort ehrte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Lacks, 70 Jahre nach ihrem Tod. Millionen Menschen verdanken Henrietta Lacks ihr Leben.

Lacks war 1951 mit Blutungen in die Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore bei Washington gekommen. Ärzte stellten Gebärmutterhalskrebs fest. Sie starb trotz Behandlung wenige Monate später. Eine Gewebeprobe, die Lacks entnommen worden war, wurde aber zur medizinischen Sensation. Der Zellbiologe George Gey und seine Frau Margaret legten wie üblich eine Kultur an, doch anders als bis dahin starben die Zellen nicht nach kurzer Zeit ab. Lacks‘ Krebs war so aggressiv, dass die Zellen sich alle 24 Stunden verdoppelten.

Grundpfeiler der modernen Medizin

Die HeLa-Zelllinie – benannt nach den ersten Buchstaben von Lacks Vor- und Nachnamen – ist in Medizinerkreisen legendär. Sie wurde zu einem Grundpfeiler der modernen Medizin. Inzwischen gibt es andere Zelllinien, aber die HeLa-Zellen sind robust und deshalb weiter sehr begehrt. 50 Millionen Tonnen seien bislang produziert und erforscht worden, sagte WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan. Mehr als 75.000 Studien basierten auf der Forschung an HeLa-Zellen, sagte sie.

Mit ihnen seien der Polioimpfstoff entwickelt worden, jede Menge Medikamente gegen Krebs, HIV und AIDS, Leukämie und Parkinson. Auch bei der Entwicklung der Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 spielten HeLa-Zellen eine wichtige Rolle, sagte Swaminathan. Firmen haben sich bestimmte Verwendungsweisen der Zellen patentieren lassen und damit viel Geld verdient. Der deutsche Krebsforscher Harald zur Hausen fand darin die humanen Papillomviren HPV16 und HPV18, die zur Entwicklung des HPV-Impfstoffs führten. Er bekam den Nobelpreis dafür.

Bei all dem wurde von Lacks oder ihrer Familie nicht gesprochen. Bis zu der Ehrenzeremonie für Henrietta Lacks bei der WHO dauerte es 70 Jahre. „Worte können nicht beschreiben, wie viel mir das bedeutet“, sagte ihr Sohn Lawrence Lacks (87) in Genf bewegt. Enkel und Urenkel feierten den Moment, aber klar ist, dass die Familie bitter ist.

Bekanntheit durch Bestseller-Buch

Henrietta Lacks in einem Foto Anfang der 1940er Jahre.

Henrietta Lacks in einem Foto Anfang der 1940er Jahre.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Bekanntheit erreicht Lacks eigentlich erst durch den Bestseller „Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks“ der US-Wissenschaftsjournalistin Rebecca Skloot 2010. Sie beschrieb dem „Ärzteblatt“ damals den Ärger der Familie: „Auf der einen Seite (sind) die Zellen Henriettas, die so viel für die Menschheit getan haben und mit denen einige Firmen sehr viel Geld verdienten, und auf der anderen Seite die, denen bis heute das Geld fehlt, zum Arzt zu gehen.“ Rassismus habe eine Rolle gespielt: Die Afroamerikanerin Lacks war arm, Menschen wie sie wurden damals übergangen, ignoriert und nicht respektiert.

„Henrietta Lacks wurde ausgenutzt“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus jetzt unumwunden. Ihr seien Zellen entnommen worden, ohne sie zu fragen. Sie wäre sicher froh gewesen, zu wissen, dass ihr Leid am Ende so viele Menschen gerettet habe, sagte Tedros. „Aber der Zweck heiligt nicht die Mittel.“

Tedros schlug, wie die Familie, einen Bogen zur anhaltenden medizinischen Benachteiligung der Armen in der Welt. Zwar sei mit Hilfe der HeLa-Zellen auch der HPV-Impfstoff entstanden. Aber während Jugendliche in reichen Ländern damit problemlos geimpft werden, wird der Stoff in weniger als einem Viertel der ärmsten Länder angeboten.

Die Familie hat nun die HeLa100-Initiative ins Leben gerufen, die Lacks einmaligen Beitrag zur Medizin feiert und bekannt macht. „Wir wollen auch Gleichbehandlung in der Gesundheit für alle und soziale Gerechtigkeit fördern“, sagte ihre Urenkelin Victoria Baptiste in Genf.

Die Familie hat Anfang Oktober, am 70. Jahrestag von Lacks Tod, eine erste Klage gegen eine Biotech-Firma eingereicht. Sie wirft ihr vor, Geschäfte mit Zellen zu machen, die Henrietta Lacks in einem rassistischen medizinischen System ohne Zustimmung entnommen worden waren. Weitere Klagen gegen andere Firmen sollen folgen, wie Anwälte der Familie in Baltimore ankündigten. (dpa)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

OECD-Report

Krebs-Screening: Großes Potenzial zur Verbesserung

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 22.11.202113:35 Uhr

Wenn ich lese: "Die Familie hat nun die HeLa100-Initiative ins Leben gerufen, die Lacks einmaligen Beitrag zur Medizin feiert und bekannt macht. „Wir wollen auch Gleichbehandlung in der Gesundheit für alle und soziale Gerechtigkeit fördern“, sagte ihre Urenkelin Victoria Baptiste in Genf", kommt mir unwillkürlich der Gedanke, dass es auch um eine geschickt eingefädelte PR-Kampagne geht.
"Die Familie hat Anfang Oktober, am 70. Jahrestag von Lacks Tod, eine erste Klage gegen eine Biotech-Firma eingereicht. Sie wirft ihr vor, Geschäfte mit Zellen zu machen, die Henrietta Lacks in einem rassistischen medizinischen System ohne Zustimmung entnommen worden waren. Weitere Klagen gegen andere Firmen sollen folgen..."

Dann müsste es auch ein WHO-Denkmal für Jesse Gelsinger geben Er war die erste Person, die öffentlich in einer klinischen Studie für Gentherapie starb. Gelsinger litt an einem Mangel an Ornithin-Transcarbamylase, einer X-chromosomalen Erbkrankheit der Leber, deren Symptome die Unfähigkeit, Ammoniak – ein Nebenprodukt des Proteinabbaus – zu verstoffwechseln.”
["Jesse Gelsinger (18.06.1981-17.09.1999) was the first person publicly identified as having died in a clinical trial for gene therapy. Gelsinger suffered from ornithine transcarbamylase deficiency, an X-linked genetic disease of the liver, the symptoms of which include an inability to metabolize ammonia – a byproduct of protein breakdown. The disease is usually fatal at birth, but Gelsinger had a milder form of the disease, in which the ornithine transcarbamylase gene is mutated in only part of the patient’s cells, a condition known as somatic mosaicism. As his deficiency was partial, Gelsinger managed to survive on a restricted diet and special medications...
(Fortsetzung)

Dr. Thomas Georg Schätzler 22.11.202113:33 Uhr

(Fortsetzung)
Gelsinger joined a clinical trial run by the University of Pennsylvania that aimed at developing a treatment for infants born with the severe form of the disease. On September 13, 1999, Gelsinger was injected with an adenoviral vector carrying a corrected gene to test the safety of the procedure. He died four days later at the age of 18, on September 17 at 2:30 pm, apparently having suffered a massive immune response triggered by the use of the viral vector to transport the gene into his cells, leading to multiple organ failure and brain death.[1]
A Food and Drug Administration (FDA) investigation concluded that the scientists involved in the trial, including the co-investigator Dr. James M. Wilson (Director of the Institute for Human Gene Therapy), broke several rules of conduct:
– Inclusion of Gelsinger as a substitute for another volunteer who dropped out, despite Gelsinger’s having high ammonia levels that should have led to his exclusion from the trial.
– Failure by the university to report that two patients had experienced serious side effects from the gene therapy.
– Failure to disclose, in the informed-consent documentation, the deaths of monkeys given a similar treatment...The Gelsinger case was a severe setback for scientists working in the field.”
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Jesse_Gelsinger

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM

Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: PD-1-Inhibitoren: immunvermittelte Nebenwirkungen

© Springer Medizin Verlag GmbH

Thoraxchirurgie beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom

Wie können neoadjuvante Immuntherapien die Tumorresektion beeinflussen?

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Abb.1: Antikörper-Wirkstoff-Konjugat

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [14, 15]

Nicht kleinzelliges Lungenkarzinom

Effektive Zweitlinienoptionen weiterhin dringend benötigt

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg, und der Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Abb. 1: Wirkmechanismus eines Antikörper-Wirkstoff-Konjugats (ADC) am Beispiel von Trastuzumab deruxtecan

© Springer Medizin Verlag GmbH, (modifiziert nach [10]; original licensed under CC BY 4.0; https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate

Fortschritte bei allen Komponenten

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg, und der Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Suchtmedizin

Evidenzbasierte Strategien gegen Alkoholabhängigkeit

Lesetipps
Eine Ärztin untersucht die Hand eines älteren Patienten in einer Klinik.

© Drazen / stock.adobe.com

ACR-Kongress

Fünf M für eine bessere Versorgung älterer Rheumapatienten