Gutachten für die Björn-Steiger-Stiftung
Verfassungsrechtler: Bund kann Leistungsvorgaben für Rettungsdienst machen
Ein Gutachten zeigt Wege auf, wie der Bund ohne Beteiligung der Länder den Rettungsdienst reformieren kann. Damit steigen die Chancen, dass im Notfallreformgesetz auch das Rettungswesen eingebunden ist.
Veröffentlicht:Berlin. Als Teil der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr gehört der Rettungsdienst zum Kompetenzbereich der Bundesländer. Über die Zuständigkeit für die Sozialversicherung hat allerdings auch der Bund die Möglichkeit, Einfluss auf eine Neuordnung zu nehmen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Professor Udo di Fabio, das am Donnerstag in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde.
Der Hebel, den der Bundesgesetzgeber nutzen könnte, ohne die Länder beteiligen zu müssen oder auf deren Zustimmung angewiesen zu sein, ist die Finanzierung der Notfallrettung – dies hauptsächlich über GKV-Beiträge. In einem Leistungskatalog könnten die Bedingungen festgelegt werden, wann und unter welchen Voraussetzungen Rettungsdienstleistungen aus dem GKV-Topf bezahlt werden. Der Bund könnte „harmonisierende Qualitätsvorgaben machen“, sagte di Fabio.
Mit seinem Gutachten wolle er den Bund ermutigen, seine Steuerungsverantwortung wahrzunehmen. Der Rettungsdienst sei mittlerweile wesentlicher Teil der Gesundheitsversorgung. Wenn dieser nicht funktioniere, „leidet am Ende des Tages auch das Ansehen der Demokratie, es geht nicht nur um Rettung von Menschenleben“, sagte der ehemalige Bundesverfassungsrichter.
Anschluss an Fortschritt verpasst
Das Gutachten in Auftrag gegeben hat die Björn-Steiger-Stiftung. Deren Gründer, Ute und Siegfried Steiger, waren, wie ihr Sohn Pierre-Enric Steiger, am Donnerstag betonte, Architekten des deutschen Rettungswesens. Dessen Strukturen fußten aber auch heute noch weitgehend auf den 1970er-Jahren, so Steiger.
Deutschland sei mit seinem Rettungswesen im internationalen Vergleich weit abgefallen. Die weltweiten Fortschritte, die es gebe, würden ignoriert. Strukturen und Handlungsvorgaben entsprächen inzwischen eher dem Stand in Entwicklungsländern. Steiger beschrieb den Zustand des Rettungswesens als „prekär“. Trotzdem verweigerten sich Länder und Kommunen Reformen, die Politik wolle das alte deutsche System „in Beton“ gießen.
Liegen etwa 20 Jahre zurück
Die Rettungsstellen lägen mit ihrer Arbeit 20 Jahre zurück, sagte Christoph Chwojka, Geschäftsführer der Steiner-Stiftung. Dringend nötig seien ein Qualitätsschub und weitere technische Entwicklungen. Die Leitstellen müssten zu Gatekeepern werden und mithilfe standardisierter und qualitätsgesicherter Algorithmen in der Lage sein, zu entscheiden, ob bei den Patienten ein Not- oder Bagatellfall vorliege.
Die Leitstellen müssten in der Lage sein, verschiedene Rettungsmittel einzusetzen, um Patienten auch ohne Notarzt und Krankenhaustransport schnell zu helfen. Für Katheterwechsel in Pflegeheimen könne etwa eine Notfallpflege etabliert werden. Bewährt hätten sich auch Ersthelfer-Apps, so Chwojka. Die Björn-Steiger-Stiftung fordert zudem, in Leitstellen die telefonisch angeleitete Reanimation verpflichtend zu machen.
Der Gesetzgeber brauche für die Neuordnung des Rettungswesens nur ins Ausland zu schauen und sich die Erfahrungen dort nutzbar zu machen, betonte Chwojka. Er wies auch auf die Datenschutzanforderungen hin, die in Deutschland oft über die Vorgaben der europäischen Datenschutzgrundverordnung hinausgingen.
Selbst wenn wie etwa in Berlin die KV-Leitstelle den Patienten an die Rettungsleitstelle weiterleite, müssten dort die Daten wieder neu erhoben werden, weil eine Übersendung nicht möglich sei. „Da gibt es einen Medienbruch. Und es geht Zeit verloren, weil in der Rettungsstelle die Daten wieder neu erhoben werden müssen“, sagte Pierre-Enric Steiger.
Abgeordnete wollen Gutachten nutzen
Auf der Pressekonferenz kündigte der Notfallmediziner und Grünen-Bundestagsabgeordnete Dr. Janosch Dahmen an, sich im Rahmen des jetzt laufenden parlamentarischen Verfahrens dafür einzusetzen, dass Vorgaben zum Rettungsdienst in das Notfallreformgesetz eingefügt werden. „Wenn man das im SGB V regeln kann, sollte man das auch machen.“
Auch Professor Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP, betonte in einer Mitteilung, dass auszuloten sei, inwiefern es rechtlich möglich ist, dass der Bund Vorgaben zu Struktur und Qualität des Rettungsdienstes vorgibt. Das Gutachten von di Fabio zeige, dass „ein mutiges Vorgehen des Bundes zu guten Ergebnissen für die Patientinnen und Patienten führen kann“. (juk)