Ursprung von SARS-CoV-2
WHO-Epidemiologin kritisiert Chinas mangelnde Corona-Transparenz als „unentschuldbar“
Die WHO wollte gemeinsam mit China den Ursprung des Coronavirus erforschen. Über drei Jahre nach Pandemiebeginn fehlen noch immer chinesische Daten. Der WHO zufolge läuft die Zeit davon.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Genf. Mit ungewöhnlich scharfen Worten hat eine Vertreterin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Chinas Kooperation bei der Erforschung des Coronavirus SARS-CoV-2 angemahnt. Die ranghöchste COVID-19-Expertin der WHO, die Epidemiologin Dr. Maria van Kerkhove, kritisierte in einem Kommentar in „Science“ etwa, dass chinesische Wissenschaftler Daten von Virenproben aus der Metropole Wuhan drei Jahre lang zurückgehalten hatten.
„Die mangelnde Offenlegung von Daten ist einfach unentschuldbar“, schrieb die Epidemiologin, die seit Bekanntwerden der ersten Infektionen in Wuhan die Weltöffentlichkeit über die Corona-Lage informiert (Science 2023; 380 [6640]: 11). Die WHO erfuhr erst Mitte März dieses Jahres von bestimmten genetischen Informationen aus der zentralchinesischen Metropole, nachdem diese kurzzeitig auf einer internationalen Datenbank zugänglich waren.
Die Daten geben laut van Kerkhove wichtige Hinweise auf die Bedeutung eines Marktes in Wuhan für die ursprüngliche Verbreitung des Virus. Nötig seien jedoch etwa noch Blutuntersuchungen von Arbeitern der Lebendtiermärkte in Wuhan oder der Ursprungsfarmen der Tiere.
China: Kritik ist „beleidigend und respektlos“
Die WHO-Expertin forderte die sofortige Bereitstellung von relevanten Daten zum Ursprung des Virus. Je mehr Zeit verstreiche, desto schwerer werde die Forschungsarbeit, die für die Verhinderung künftiger Ausbrüche wichtig sei. „Die Zeit läuft davon“, warnte sie.
Der Leiter des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und -prävention hat die Kritik am Osterwochenende scharf zurückgewiesen. Die Kritik sei „beleidigend und respektlos“, sagte Shen Hongbing bei einer Pressekonferenz am Samstag. China habe demnach stets „aktiv Forschungsergebnisse mit Wissenschaftlern aus aller Welt geteilt“. Zudem warf Shen der WHO vor, „China zu verleumden“ und die Suche nach dem Ursprung des Virus zu politisieren.
Fehlende Daten aus Labor-Überprüfungen
Anfang März hatten Aussagen von FBI-Direktor Christopher Wray in den USA Spekulationen über eine Laborpanne in China als Ursprung des Coronavirus neu entfacht. Van Kerkhove betonte, dass alle Hypothesen zum Ursprung des Virus aufrechterhalten blieben, solange nicht genug Informationen vorlägen.
China habe etwa Ergebnisse seiner Labor-Überprüfungen noch nicht bereitgestellt. Außerdem habe die WHO noch immer keinen Zugriff zu Rohdaten über die ersten Corona-Fällen in China.
Seit Beginn der Pandemie hat China die Sorge, dass dem Land die Schuld für den weltweiten Ausbruch zugeschoben wird. Regierung und Staatsmedien verfolgen seither eine Kampagne, die auf die Möglichkeit abhebt, dass das Virus auch aus dem Ausland gekommen sein könnte und nicht aus China stammte.
Von der „Schuldzuweisungspolitik verabschieden“
Die Rivalität mit den USA und die Debatte über die Laborthese haben die Frage nach der Herkunft des Virus zunehmend politisiert. Erst im Jahr 2021 konnte eine gemeinsame Untersuchungskommission mit WHO-Experten nach Wuhan reisen. Eine Fortsetzung der Ermittlungen kam nicht zustande.
„Die WHO fordert China und alle Länder weiterhin auf, alle Daten über die Herkunft von SARS-CoV-2 unverzüglich auszutauschen“, schrieb van Kerkhove. „Die Welt muss sich von der Schuldzuweisungspolitik verabschieden.“ Stattdessen solle sie alle diplomatischen und wissenschaftlichen Ansätze nutzen, um zusammenzuarbeiten, Lösungen zu finden und zukünftige Pandemien zu vereiteln. (dpa/eb)