Angst nach Anschlag

"Wichtig eigene Angst wahrzunehmen"

Wut, Trauer, Angst: Nach dem Anschlag in Berlin plädieren Politiker dafür, sich nicht einschüchtern zu lassen. Psychologe Dr. Jens Hoffmann hingegen sagt: Es ist wichtig, die eigenen Gefühle ernstzunehmen.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:

BERLIN. Nach dem Anschlag am Montagabend fühlen sich viele Berliner wie paralysiert. Neben Trauer herrscht oft tiefe Verunsicherung, beobachtet Dr. Jens Hoffmann. "Der Anschlag hat in den – eigentlich sicheren – öffentlichen Raum in Deutschland eingegriffen. Das hinterlässt bei vielen große Unsicherheit", erklärt der Diplompsychologe, der das Institut Psychologie & Bedrohungsmanagement in Darmstadt leitet, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Dabei sei es gerade das Ziel des Terrorismus, eben diese Angst zu verbreiten. "Gerade der islamistische Terrorismus zielt nicht auf einzelne Personen oder die Politik, sondern die Gesellschaft", so Hoffmann.

Professor Borwin Bandelow, Präsident der Gesellschaft für Angstforschung, erklärt die Verunsicherung vor allem mit der Neuheit der Situation. "Immer wenn eine Gefahr als neu und unbeherrschbar erscheint, haben die Menschen mehr Angst, als es der tatsächlichen Gefährdung durch Terroranschläge entspricht." Dies führe dazu, dass den Terror aktuell viele gar als größere Gefahr wahrnehmen als den Straßenverkehr, so Bandelow – dabei sei der Tod durch Autounfall wesentlich häufiger. "Aber darüber denkt man gar nicht nach, wenn man sich am Morgen ins Auto setzt."

Die Angst in der aktuellen Situation bezeichnet Hoffmann jedoch als durchaus "normales, angemessenes Gefühl", da die wahrgenommene Bedrohung eben nicht mehr nur in abstrakten Befürchtungen, sondern einer realen Tat mündet. "Angst zu spüren, ist in dieser Lage nichts Schlimmes."

Diese Angst dürfe nicht in den Alltag eingreifen, plädierten Politiker am Tag nach dem Attentat. "Wir wollen nicht damit leben, dass uns die Angst vor dem Bösen lähmt", sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag. Und auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte: "Egal, was wir im weiteren Verlauf noch über die genauen Hintergründe und Motive der Täter erfahren, wir dürfen und wir werden uns unser freiheitliches Leben nicht nehmen lassen." So haben sich die Innenminister von Bund und Ländern am Dienstag auch gegen eine Absage anderer Weihnachtsmärkte und ähnlicher Veranstaltungen in Deutschland ausgesprochen.

Hoffmann plädiert dafür, keine pauschalen Tipps zu geben. "Es ist wichtig, die eigenen Gefühle zu respektieren", betont der Psychologe, der 2002 von Europol in die Experten-Datenbank für Polizeikräfte aufgenommen wurde. "Wenn ich mich aktuell nicht danach fühle, einen Weihnachtsmarkt zu besuchen, dann sollte ich es besser lassen. Wenn ich aber fühle ‚Jetzt erst recht!‘, dann ist auch das der richtige Weg."

Wut, Trauer, Angst: Die Gefühle seien in diesen Tagen sehr individuell, so Hoffmann weiter. "Wichtig ist aber, darüber zu sprechen." Die Rahmenbedingungen seien dafür gegeben. Er warnte jedoch vor einer Kriegsmetaphorik der Politiker. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), hat am Dienstag von "Kriegszustand" gesprochen. "Wir müssen sehr wohl starke Zeichen setzen und auf Rechtsstaatlichkeit beharren", betont Hoffmann hingegen. "Eine Kriegsmetaphorik tut jedoch nichts, als Ängste weiter zu schüren."

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