Digitalisierung in der Pflege
Wie Software im Heim den Alltag erleichtert
Vor Ort-Besuch im Pflegeheim. Der Nutzen der Digitalisierung liegt nicht in der Robotik. Mehrwert schafft die Software.
Veröffentlicht:Berlin. Begriffe wie Digitalisierung, Pflegeroboter, Telematik lassen sich nur schwer mit dem menschlichen Anspruch der Pflege in Einklang bringen, mehr als „satt und sauber“ anzubieten. „Ich muss die Dinge sehen, um sie mir wirklich vorstellen zu können“, sagt die Pflegebeauftragte der Fraktion der Grünen im Bundestag, Kordula Schulz-Asche, beim Vor-Ort-Besuch im „Haus Gartenstadt“ im Berliner Ortsteil Rudow.
In dem Altenheim testet die französische Korian Gruppe immer wieder technische Innovationen, bevor sie sie flächendeckend in ihren 236 Einrichtungen mit 27.000 Betten in Deutschland ausrollt. Europaweit betreut der Pflegedienstleister über 70.000 Pflegebetten.
Was die Abgeordnete zu sehen bekommt, sind weder Roboter, die den Pflegekräften bei ihrer auch körperlich anspruchsvollen Arbeit zur Hand gehen, und auch keine elektronischen Haustiere mit einprogrammierter Sozialkompetenz. Die digitale Revolution startet sanft – mit Software.
Was die Begutachtungssoftware weiß
Vom „Sprung vom Papier zur elektronischen Datenverarbeitung“ spricht Anja Auberg, Pflegedienstleiterin im Haus Gartenstadt im Berliner Ortsteil Rudow. Seit mehr als 15 Monaten erledigen die Pflegekräfte des 195-Betten-Hauses die Dokumentation am Rechner. Während die handschriftliche Dokumentation jede Pflegekraft rund 45 Minuten am Tag gekostet habe, lasse sie sich mit dem digitalen Helfer am zentralen Dokumentationsstützpunkt in rund zehn Minuten erledigen, berichtet Auberg.
Das neue Begutachtungsinstrument ist in der Software hinterlegt. Von jedem Bewohner kennt sie den Pflegegrad. Dazu kommen weitere, die Pflege berührende Angaben, zum Beispiel aus der Biografie. „Die Risikoeinschätzung bleibt aber bei den Pflegekräften“, sagt Auberg.
Möglichst bald sollen die Pflegekräfte die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie weitere Parameter dezentral mit Tablets direkt in den Zimmern der Bewohner erfassen. Zukunftsmusik ist noch die Vernetzung mit Ärzten, Krankenhäusern und Physiotherapeuten über die Telematikinfrastruktur der Gematik. Ab Mitte des Jahres können sich die Pflegeheime anschließen.
Ganganalyse eines Heimbewohners binnen zehn Minuten
Zeit sparen lässt sich auch an anderer Stelle. Ergotherapeutin Daniela Thimm leitet die Abteilung Soziale Betreuung im Haus. Sie drückt der Besucherin aus dem Bundestag ein Tablet in die Hand. Eine Bewohnerin kommt mit dem Rollator auf sie zu. Eine App und die Kamera des Tablets erstellen in Echtzeit ein dreidimensionales Bild der Gangbewegung. Erfunden hat das Werkzeug das Berliner Startup Lindera. Sein Nutzen besteht in der hinterlegten Mobilitätsanalyse, die sehr schnell gezielte Hinweise zur Sturzprävention der getesteten Person ausspielen kann.
Das klassische geriatrische Assessment ohne technische Unterstützung dauere 40 Minuten, mit der App hätten die Betreuer binnen zehn Minuten ein Ergebnis, berichtet Thimm. Die Bewohner werden von der App dazu motiviert, ihre Werte beim Gehen zu verbessern.
Zwei Milliarden Euro extra für Kliniken und Heime
Noch in der Testphase bei Korian ist Ichó, ein Ball, der die kognitiven und motorischen Fähigkeiten fördern soll, zum Beispiel bei Menschen mit einer Demenz. Das Spielgerät der icho systems GmbH aus Duisburg hat bereits jede Menge Innovationspreise gewonnen. Der Ball vibriert, leuchtet, er spielt Musik ab, er wechselt die Farbe. Den Senioren gefällt’s.
Schulz-Asche ist beeindruckt. „In der Pflege ist für Digitalisierung noch viel Luft nach oben“, sagt sie nach dem Spiel- und Besichtigungsprogramm. Die Grünen treten im politischen Wettbewerb aktuell mit dem Ansatz „Menschliche Pflege in einer digitalen Welt“ an. Der ist nicht umsonst zu haben. Die Partei fordert Investitionen von mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr, um Krankenhäuser und Pflegeheime mit digitaler Dokumentation und Anschluss an die Telematik auszurüsten. Zudem soll die Pflegeversicherung 40 Millionen Euro zum Innovationsfonds der Krankenkassen beisteuern, um digitale Innovationen zu erproben.