Nephrologe Walz im Interview
Wie eine Behörde die Transplantationsmedizin retten soll
Der Vorschlag ist brisant: Eine neue Bundesbehörde soll endlich mehr Qualität in die Transplantationsmedizin bringen, fordern Nephrologen. Einer der Wortführer ist Professor Gerd Walz. Im Interview spricht er über revolutionäre Ideen, Vorteile staatlicher Kontrolle, Probleme der Selbstverwaltung - und über Kommunismus.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Walz, eine Stellungnahme Ihrer Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) hat es ziemlich in sich: Darin sprechen Sie und einige Ihre Kollegen sich für ein "Bundestransplantationszentrum" aus, das die Organvergabe regulieren soll. Wollen Sie tatsächlich eine staatlich regulierte Transplantationsmedizin?
Prof. Gerd Walz
Aktuelle Tätigkeit: Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik IV (Nephrologie und Allgemeinmedizin) am Uniklinikum Freiburg
Ausbildung: Studium der Medizin von 1976 bis 1983 in Berlin und Tübingen, Promotion 1984
Werdegang: 1983-1987 Facharztausbildung in Berlin 1987-1992 Postdoc Transplantationsimmunologie und Molekularbiologie an der Harvard Medical School 1992 Habilitation in Berlin 1992-1995 Facharztausbildung Nephrologie an der Harvard Medical School 1995-1999 Oberarzt und Assistenzprofessur an der Harvard Medical School seit 1999 Professor und Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Freiburg 2010 Mitglied der Leopoldina 2011 "Lillian Jean Kaplan International Award" für seine Forschung zu polyzystischen Nierenerkrankungen
Professor Gerd Walz: Wir müssen das etwas differenzierter betrachten. Man muss zugeben, dass die Selbstverwaltung nicht zu 100 Prozent funktioniert hat. Da hat es in der Vergangenheit einfach Probleme geben.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Walz: Die Selbstverwaltung hat nicht verhindern können, dass es zu strafrechtlich relevantem Fehlverhalten gekommen ist. Inzwischen ist auch klar, dass es an mehreren Transplantationszentren zu Unregelmäßigkeiten und Fehlern gekommen ist. Ich bin davon überzeugt, dass diese Unregelmäßigkeiten die Versorgung der Patienten nicht beeinträchtigt haben. Aber jeder Fehler, jede Intransparenz trägt zur Verunsicherung der Bevölkerung bei.
Das Problem, das ich sehe, ist der tagtägliche Rückgang von Organspenden und transplantierten Organen. Die Bevölkerung erwartet von uns offenbar einen neuen Ansatz, ein neues Konzept für die Transplantationsmedizin.
Und das wäre?
Walz: Wir müssen versuchen, über unseren eigenen Schatten zu springen und uns fragen: Was ist aus der Sicht des Patienten sinnvoll? Der würde antworten, dass das neue Organ möglichst lange in seinem Körper bleibt. Und er würde uns fragen, mit welchem Aufwand die Transplantation verbunden ist. Wenn wir die entscheidenden Fragen aus Patientensicht stellen, ergeben sich die nötigen Dinge von alleine.
Das heutige Transplantationswesen arbeitet also am Patienten vorbei?
Walz: Es ist schon putzig. Schauen Sie nur, wie Transplantationen heute geregelt sind: Wer mehr transplantiert, erhält mehr Geld. Am meisten Geld bekommt man, wenn ein und derselbe Patient eine Zweit- oder Dritt-Transplantation erhalten muss ...
... also Retransplantationen, etwa bei einer chronischen Rejektion.
Walz: Richtig, und das ist nur eines der Probleme. Ein Patient würde doch der Einrichtung besonders viel Geld dafür geben, dass ein Organ möglichst lange hält, oder? Das nächste Problem: Mit der Nachsorge für Patienten nach einer Nierentransplantation machen wir ein riesiges Defizit. Der Anreiz, dass ein transplantiertes Organ möglichst lange im Körper des Patienten bleibt, ist einfach nicht da.
Sie sprechen die Ergebnisqualität an. Die ist in Deutschland bei Transplantationen bekanntlich nicht die beste, verglichen mit anderen Ländern. Wird Ihr Vorschlag das wirklich ändern können?
Walz: Ich bin davon überzeugt, dass die Transplantationsergebnisse am besten von einer Behörde kontrolliert werden können. Diese Behörde sollte die Richtlinien aufstellen, nach denen die Zentren künftig arbeiten. Und sie muss die Qualität überprüfen ...
... also zum Beispiel Patientenüberleben und Organfunktion.
Walz: Genau. Unser angedachtes BTZ würde die Zentren akkreditieren und regelmäßig Audits durchführen. Die Ergebnisse würden in das bundesweite Transplantationsregister einfließen. Dann könnten wir auf einen Blick sehen, wo wir Qualitätsprobleme haben und was wir tun müssen, um das Ergebnis zu verbessern.
Das Register soll ja ohnehin kommen. Die DSO, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, geht davon aus, dass noch in diesem Jahr die Grundlagen geschaffen werden könnten. In ein, zwei Jahren könnte es dann wohl an den Start gehen. Was würde Ihre geplante Behörde besser machen können?
Die Stellungnahme der DGfN
In ihrer Stellungnahme spricht sich die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) für ein überregionales Transplantationszentrum aus. Dieses "(Bundes-)Transplantationszentrum" (BTZ) soll für "klar definierte Strukturen und überprüfbare Abläufe" in der Transplantationsmedizin sorgen. Das BTZ soll unter der Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums eingerichtet werden.
An dem Zentrum soll das künftige Transplantationsregister etabliert werden. Das BTZ soll außerdem Richtlinien für die "Struktur- und Prozessqualität" in den transplantierenden Kliniken erlassen. Die Zentren sollten nach diesen Vorgaben akkreditiert und geprüft werden.
Die DGfN fordert zudem ein neues Vergütungsmodell für Transplantationen. Statt der Menge sollte künftig die Qualität "belohnt" werden. Mindestmengen lehnt die DGfN ab.
Walz: Entscheidend sind die Richtlinien, die sie erlassen würde. Die müssten sich darauf beschränken, dass in den Zentren gewisse Strukturen vorgehalten werden müssen. Das muss natürlich eine Maximalstruktur sein. Wir müssten von den Zentren beispielsweise fordern, dass sie einen Pathologen vorhalten müssen, der bei einer akuten Rejektionsdiagnostik einen Befund stellen kann. Auf diese Weise wird direkt eine Flurbereinigung stattfinden.
Sie spielen auf die von manchen geforderte Schließung und Zusammenlegung von Zentren an?
Walz: Solche Forderungen bräuchten wir gar nicht mehr. Denn sollte unser Vorschlag umgesetzt werden, würden manche der heutigen Zentren sagen: "Das ist uns zu teuer."
Nehmen wir einmal an, ein Krankenhaus bekäme nur noch 60 Prozent der Kosten für eine Transplantation erstattet. Die weiteren 40 Prozent würde es dann über die Jahre verteilt für den Nachweis guter Funktionsraten der Transplantate erhalten. Für viele der heutigen Zentren wird das dann einfach nicht mehr wirtschaftlich sein.
Ich weiß von Kollegen, die anfangs sagten, acht Zentren würden vollkommen ausreichen. Später sind sie davon wieder abgewichen. Denn dann entstünde ja quasi ein Oligopol, das kaum einen Qualitätsanreiz setzt. Viele Patienten müssten weit reisen und außerhalb der Zentren wäre dann rasch die Kompetenz für die Nachsorge weg. Das haben mittlerweile viele in der Diskussion realisiert.
Auch die Frage nach Mindestmengen würde sich erübrigen. Solche Vorgaben sind einfach nicht geeignet, um mehr Qualität in die Transplantation zu bringen.
Neue Richtlinien alleine reichen also nicht aus. Sie müssen auch an der Stellschraube Vergütung drehen.
Walz: Natürlich, vor allem sollte sie sich nicht mehr nur auf die Zahl der Transplantationen beschränken. Es wäre eine Revolution, wenn man die Transplantationsmedizin endlich aus den DRG herausnehmen würde. Dort müssen wir ansetzen.
Die Große Koalition hat sich dieses Thema ja vorgenommen: Stationäre Leistungen sollen künftig generell mehr nach Qualität bezahlt werden. Halten Sie einen solchen globalen Ansatz für richtig?
Walz: Qualitätsvergütung ist ein hehrer Anspruch. Ich glaube, dass sich Qualität leider in vielen Bereichen der Medizin nicht oder nur sehr schwer messen lässt. Sie müssten vermutlich 90 Prozent der Verwaltungsressourcen in das Messen von Qualität stecken. Aber für Transplantationen ist das wirklich machbar. Die Politik wäre gut beraten, wenn sie sich für den Anfang ein Thema aussucht, das auch einfach umsetzbar ist.
Lassen Sie uns noch einmal zu der Idee einer zentralen Behörde zurückkommen. Sie fordern, dass sie unter der Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums tätig wird, also als eine Körperschaft öffentlichen Rechts. In der Vergangenheit gab es bereits Vorschläge, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) solle solche Aufgaben übernehmen. Schon heute ist es für die Transfusionsmedizin zuständig. Halten Sie das PEI für geeignet?
Walz: Ob es eine neue Behörde braucht, oder ob man sie an bestehenden Institutionen ansiedelt, ist nachrangig. Es gab ja auch den Vorschlag, ein "Rudolf-Pichlmayr-Institut" ins Leben zu rufen ...
... benannt nach dem deutschen Pionier der Transplantationsmedizin aus Hannover. Der Vorschlag wurde vergangenes Jahr von dem Generalsekretär des Uniklinik-Verbands, Dr. Rüdiger Strehl, und dem Chirurgen Professor Rüdiger Siewert ins Spiel gebracht.
Walz: Man darf nicht vergessen, dass die Transplantationsmedizin im Moment Ländersache ist, wegen deren Zuständigkeit für die Krankenhausplanung. Eigentlich müsste man die Behörden auf Landesebene einrichten. Ich glaube aber, dass die Sozialministerien durchaus eine gemeinsame Bundesbehörde akzeptieren könnten. Denn andernfalls müssten sie die Strukturen sechzehnmal aufbauen.
Spielen wir den Gedanken einer Behörde weiter durch: Wenn sie künftig die Richtlinien für die Transplantationsmedizin erlassen soll, könnte etwa die Bundesärztekammer das als Affront verstehen. Immerhin ist sie im Moment für die Richtlinien zuständig. Sehen Sie das als Gefahr?
Walz: Das ist ein wunder Punkt. Ich glaube allerdings nicht, dass man irgendwem etwas wegnehmen muss. Man kann das koordinieren, indem man bestehenden Institutionen wie der BÄK auch weiterhin Aufgaben überträgt - nur dann unter der Führung der neuen Behörde. Klar ist, dass es nicht überall nur Gewinner geben kann. Das darf uns aber nicht von den Überlegungen abhalten. Wir müssen ein klares Signal nach außen geben, dass sich die Transplantationsmedizin verändert.
Hin und wieder hat man das Gefühl, dass nur wenige eine öffentliche Debatte über die Transplantationsmedizin wollen. Glauben Sie, dass eine breite Diskussion mit allen Beteiligten möglich ist und zu einem fruchtbaren Ergebnis führen wird?
Walz: Nun, wenn man verschiedene Leute zusammenbringt, bekommt man am Ende immer nur einen kleinen gemeinsamen Nenner. Ich glaube, dass wir jetzt eine Diskussion brauchen und Vorstöße, die auch in eine andere Richtung gehen.
Unser Vorschlag ist ein Debattenbeitrag. Das ist eine Chance auch für Herrn Gröhe. Er sollte sich die Vorschläge gut anhören und am Ende auch handeln. In den Bundesländern und in vielen Zentren wird diese Diskussion bereits geführt, wie bei uns in Baden-Württemberg. Bislang gibt es nirgends eine einheitliche Stoßrichtung. Aber ich glaube, dass es einige andere gibt, die genauso denken wie wir.
Selbst unter den Nephrologen gibt es keine Einheitsmeinung. Beim Nephrologenkongress im letzten Jahr wurde es teilweise sehr laut, als Ihre Kollegen über die Zukunft der Transplantationsmedizin diskutiert hatten.
Walz: Man sollte meinen, dass alle Nephrologen am gleichen Strang ziehen. Aber das stimmt natürlich nicht. Auch unter den Nephrologen gibt es teils ganz unterschiedliche Interessen. In einem großen Zentrum ist zum Beispiel der Zentralisierungsgedanke extrem attraktiv. Wenn ich jedoch an einem kleinen Zentrum tätig bin, sehe ich die Dinge natürlich etwas anders.
Herr Professor Walz, was würden Sie jenen entgegnen, die Ihren Vorschlag einer zentralen Regulierungsbehörde als "Kommunismus" und als Weg hin zur staatlichen Organvergabe kritisieren?
Walz: Das finde ich eine lustige Hypothese. Schauen Sie, wir unterliegen doch längst in vielen Bereichen staatlicher Kontrolle. "Kommunismus" im negativen Sinne wäre, dass jede Konkurrenzsituation ausgeschaltet wird. Das ist bei unserem Vorschlag aber nicht der Fall. Die Zentren würden ja endlich beginnen, über Qualität zu konkurrieren. Die zentrale Behörde wäre außerdem keine, die die Vergabe von Organen bestimmt. Sie erfasst die Ergebnisqualität und macht sie transparent. Das hat mit Kommunismus gar nichts zu tun.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.