Interview
"Wir brauchen eine Balance zwischen Vertrauen und Wachsamkeit"
Schuldig oder nicht schuldig - im Fall Mechthild Bach wird das wohl nie geklärt werden. Patiententötungen in Kliniken aber bleiben ein Thema. Ein Interview mit Professor Karl-Heinz Beine aus Hamm.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Beine, seit mehr als 20 Jahren befassen Sie sich mit dem sehr seltenen Phänomen der Patiententötungen in Kliniken und Heimen. Haben wir es mit einer echten Gefahr zu tun?
Professor Beine: Tatsächlich zählen wir weltweit 35 Fälle von Patiententötungen in den vergangenen Jahren. Diese Zahl bezieht sich allerdings auf Fälle, die im stationären Umfeld geschehen sind und bei denen mehr als ein Patient getötet wurde.
Ende Dezember wurde eine finnische Krankenschwester verurteilt, die mehrere Morde begangen hat. Aktuell ist ein spanischer Krankenpfleger verhaftet worden, der zehn Patienten ermordet haben soll.
Der größte Massenmörder im medizinischen Bereich dürfte Harold Shipman sein, ein englischer Arzt, der wahrscheinlich 200 Menschen und sich dann selber getötet hat. Für den ambulanten Bereich gibt es keine Untersuchungen.
Ärzte Zeitung: Was treibt die Täter?
Beine: Viele von ihnen haben einen medizinischen Beruf auch wegen der hohen sozialen Anerkennung ausgesucht, sie sind sehr selbstunsicher und stark abhängig von äußerer Anerkennung. Außerdem ist in fast keinem anderen Beruf das Machtgefälle so groß, wie zwischen Ärzten/Pflegern und Patienten.
Die Tötungen sehen aus wie normale medizinische Verrichtungen, die tödlichen Medikamente sind vorhanden und die Patienten vertrauen natürlich den Pflegern und Ärzten.
Kliniken sind so etwas wie das ideale Tatumfeld, weil hier besonders das fünfte Gebot gilt: Du sollst nicht töten. Viele Täter sehen sich als Vollstrecker des heimlichen Mehrheitswillens und "ihrer Zeit voraus". Sie finden das Morden normal. Ihnen fehlt in der Situation das Unrechtsbewusstsein.
Ärzte Zeitung: Oft sind schwer Kranke die Opfer. Manche Ärzte befürworten die aktive Sterbehilfe.
Beine: Ja, hier herrscht meiner Meinung nach ein verschobener Mitleidsbegriff. Weil man als Krankenschwester oder Arzt unbewusst das Leiden der Patienten nicht mehr erträgt, möchte man den Träger des Leides beseitigen, damit es einem selbst besser geht.
Es scheint eine kleine Gruppe von Menschen zu geben, die dazu neigen, sich von dem ihnen unerträglichen Anblick zu befreien und anschließend zu behaupten, es sei Mitleid gewesen. Im Übrigen haben Untersuchungen gezeigt: Die Neigungen, aktive Sterbehilfe zu befürworten, hängt stark mit beruflicher Unzufriedenheit zusammen.
Ärzte Zeitung: Welche Warnhinweise gibt es?
Beine: In Fällen von Patiententötungen herrschte auf den Stationen oft ein besonders schnoddriger, zynischer Umgangston. Das medizinische Personal merkte nicht, dass es nicht nur die Patienten entwertete, sondern auch die eigene Arbeit. Die späteren Mörder hatten Spitznamen, wie "Dark Angel" oder "Vollstrecker".
Häufung von unerklärlichen Todesfällen und absurde Fehlbestände von Medikamenten fielen nicht auf. Insgesamt herrschte oft ein resignatives Arbeitsumfeld. Schließlich halten es die späteren Mörder für eine Spitzenleistung der Vernunft und Humanität, die Träger des Leidens von ihrem Leiden durch Tötung zu befreien.
Ärzte Zeitung: Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Beine: Anfang der 90er Jahre hat in meinem Krankenhaus ein Krankenpfleger Patienten getötet, die ich kannte. Dabei dachten wir, so sensibel zu sein. Es ist wichtig, informiert zu sein und Tötungen auch an meinem Arbeitsplatz für möglich zu halten. Wir brauchen eine Balance zwischen Vertrauen und Wachsamkeit.
Die Fragen stellte Christian Beneker
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