Wesiack
"Wir brauchen einen ehrlichen Diskurs!"
BDI-Chef Wolfgang Wesiack hat beim Internistenkongress fehlende Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen beklagt. Wir dokumentieren seine Rede, die uns vorab vorlag, in Auszügen.
Von Wolfgang Wesiack
Die Gesundheitspolitik, so scheint es, ist immer mehr die Kunst des noch Möglichen in immer schwierigeren Zeiten.
Neue gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Diagnostik und Therapie (man denke nur an die rasanten Fortschritte in der Onkologie), gesteigertes Anspruchsdenken und Verhalten von Versicherten und Patienten, lautes mediales Getöse - Informationen über Gesundheit und Krankheit haben einen größeren Stellenwert in der Bevölkerung als zum Beispiel politische Informationen.
Dabei werden die finanziellen Spielräume immer enger. Bei Politik und Kassen besitzt die Beitragsstabilität oberste Priorität, beim Bürger dagegen die Forderung, dass alles, was seiner Gesundheit angeblich oder wirklich nützt, getan und auch von der Solidargemeinschaft bezahlt werden soll.
Die Politik, so scheint es, versucht sich in immer schnellerem Rhythmus von gesetzgeberischen Maßnahmen: GKV-Versorgungungsstärkungsgesetz, E-Health, Antikorruptions-Gesetz, Krankenhausreform etc. Und hinter fast allem steht die Kostendämpfung als oberstes Prinzip.
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Eines allerdings fällt auf: Grundsätzlichere Fragen zur medizinischen Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung werden ausgeklammert. Wie kommen gesicherte Innovationen schneller in die Versorgung? Wie verträgt sich ein fast unbegrenztes Leistungsversprechen der Politik mit immer rigideren Budgetierungen im Krankenhaus und in der Praxis?
Und aus Sicht des BDI am Wichtigsten: das jetzige System ist am Ende angelangt. Es ist überbürokratisiert, ohne aber wirklich sinnvoll zu steuern. Der Kunde Patient ist König, er hat freien Zugang zu allen Ressourcen des Systems; er kann jeden Tag einen anderen Arzt oder ein anderes Krankenhaus aufsuchen. Dem Medizinkonsum sind Tür und Tor geöffnet.
Ohne die Definition einer Grundversorgung für alle, einem geregelten Zugang zum Spezialisten, einer Priorisierung von Leistungen und auch einer steigenden finanziellen Beteiligung der Beitragszahler wird es nicht gehen.
Der "choosing wisely" Ansatz, der aus den USA kommt, kann dabei helfen, sinnvolle Verfahren, die in einer solchen Grundversorgung enthalten und notwendig sind, zu benennen. Allerdings dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass es auch zunehmend medizinisch gesicherte Verfahren gibt, die im Leistungsspektrum der GKV nicht enthalten sind.
Die fehlenden Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen bringt unser noch gutes System an seine Grenzen, überdehnt es und, so fürchte ich, wird es implodieren lassen. Hier brauchen wir einen ehrlichen und offenen gesellschaftlichen Diskurs, um im Gesundheitswesen neu anzufangen.
Für uns steht der Patient im Mittelpunkt, wir stellen bei allen Krankheiten unsere Expertise zur Verfügung. Wissenschaft, also DGIM und Berufspolitik, also BDI sind in der heutigen Zeit nicht mehr zu trennen, sie gehören zusammen.