Suchtpatienten

"Wir müssen Hausärzte als Partner gewinnen"

Ein Projekt der Landesstelle für Suchtfragen in Sachsen-Anhalt soll Hausärzten dabei helfen, Alkoholismus offen anzusprechen.

Von Petra Zieler Veröffentlicht:
Das Problem beim Namen nennen: Projekt hilft Ärzten, Alkoholsucht ihrer Patienten anzusprechen.

Das Problem beim Namen nennen: Projekt hilft Ärzten, Alkoholsucht ihrer Patienten anzusprechen.

© rr041 / fotolia.com

MAGDEBURG. Im Schnitt vergehen zehn Jahre, ehe Alkoholkranke professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Chronische Schäden seien dann oft nicht mehr reparabel, meint Gitta Friedrichs, Oberärztin in der Ölmühle, einer Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen in Magdeburg. Dennoch hätten zu viele Hausärzte noch zu selten den Mut, Alkoholsucht offen anzusprechen.

"Obwohl Symptome und Merkmale meistens unverkennbar sind, wird nicht selten jahrelang an Symptomen herumgedoktert, ohne die Ursachen anzusprechen oder den Bezug zur Sucht herzustellen", sagt sie. So reihten sich kostenintensive Diagnostiken und Therapien aneinander, während sich die Sucht immer weiter chronifiziere.

"Wir wissen", so Helga Meeßen-Hühne vom Landesverband, "dass gerade einmal 19 Prozent der Suchtkranken von sich aus Kontakt zur Suchthilfe aufnehmen. Aber 90 Prozent gehen mindestens einmal im Jahr zu ihren Hausärzten. Sie müssen wir verstärkt als Partner gewinnen."

Gespräche, Aufklärung, Flyer sollen helfen. Die Suchttherapeutin beklagt: "Obwohl Alkoholsucht seit über 50 Jahren als Krankheit anerkannt ist, werden Betroffene oft auch von Ärzten in die Schmuddelecke gestellt." Unwissenheit und Unsicherheit seien groß.

Nach Ansicht von Oberärztin Friedrichs teilweise hausgemachte Probleme: "Meine Tochter hat während ihres Medizinstudiums so gut wie nichts über Suchterkrankungen gelernt. Außerdem gibt es in Deutschland kaum Lehrstühle für Suchterkrankungen." Dabei werden allein hierzulande jährlich rund 20 Milliarden Euro für Suchtfolgeschäden ausgegeben – und bei Männern ist Alkohol der häufigste Behandlungsanlass im Krankenhaus. Viele Hausärzte wüssten beispielsweise nicht, dass sie für Suchtkranke direkt eine Rehabilitation beantragen können.

"Als wichtige Vertrauenspersonen können Hausärzte maßgeblich zur Verbesserung der frühen Intervention bei alkoholbezogenen Störungen beitragen", sagt Landesgesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD), Schirmherrin der aktuellen Aktionswoche Alkohol. Es könne niemandem gleichgültig sein, dass Sachsen-Anhalt zu den Ländern mit den meisten Alkoholkranken gehöre. Die Ministerin regte gezielte Fortbildungen für Allgemeinmediziner sowie eine funktionierende Vernetzung von Suchtberatungsstellen, Selbsthilfegruppen und Hausärzten an. Kassenärztliche Vereinigung und Ärztekammer müssten mit ins Boot.

Reinhard Bürger aus Haldensleben, heute Leiter einer Suchtselbsthilfegruppe, ist seinem Hausarzt bis heute dankbar. "Er hat mir gesagt: ,Wenn sie weiter trinken, müssen sie nicht mehr kommen. Bestellen sie sich einen Sarg, das ist besser, oder wir machen einen Termin im Krankenhaus.‘ Am nächsten Tag hat mein Weg aus dem Teufelskreis begonnen." Das war vor fast 40 Jahren.

Mehr zur Aktionswoche Alkohol:

http://tinyurl.com/ktqjn28

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Kommentare
Anne C. Leber 22.05.201711:26 Uhr

Leserzuschrift von Ulrich E. Hammerla

Sehr richtig erkannt: Der Hausarzt ist die Stelle, an der problematischer Alkoholgebrauch am besten erkannt und der oft letale Verlauf unterbrochen werden kann.
Dennoch: Trotz einer Prävalenz des Alkoholismus von 3 bis 5 Prozent der über 15-jährigen wird die Diagnose F10.2 nur in 0.75 Prozent der Hausarztfälle kodiert!
Das ist nur durch "aktives Wegschauen" erklärbar. Schon O. Ameisen beschrieb in seinem Buch "Das Ende meiner Sucht", dass die allermeisten Ärzte sofort das Thema wechseln, wenn das Gespräch auf Alkoholprobleme kommt.
Denkbarer Grund dafür ist zum einen, dass Alkoholiker als "anstrengende" Patienten gelten, bei denen der ohne Vergütung erbrachte Aufwand an Zeit und Leistungen ohnehin frustran bleibt.
Zum anderen ist es natürlich die Hilflosigkeit der Krankheit gegenüber. Die meist völlig obsoleten Kenntnisse der Ärzte aus Studium und Weiterbildung beschränken das hausärztliche Eingreifen auf die Ausstellung der Einweisung zur Entgiftung und den Reha-Antrag für die Entwöhnung - "viel Glück, kommen Sie wieder, wenn Sie trocken sind...."
Dass bereits zwei(!) "qualifizierte suchtmedizinische Interventionen" beim Hausarzt einen nachhaltigen Effekt auf den Verlauf der Alkoholgebrauchsstörungen haben, ist weithin unbekannt, erst recht die nachweislich wirksamen Konsumreduktionsprogramme, deren Wirkung der von zugelassenen "Entwöhnungsmitteln" ebenbürtig ist (z.B. "Kontrolliertes Trinken" n. Körkel)
Es ist ja offensichtlich auch erwünscht, dass das so bleibt! Selbst suchtmedizinisch qualifizierte Ärzte erhalten für ihre Leistungen keine extrabudgetäre Vergütung, Interventionen vor Manifestation der Abhängigkeit sind überhaupt nicht vorgesehen, da der "schädliche Gebrauch von Alkohol" nicht als Krankheit, sondern nur als schlechte Angewohnheit gilt - wie Nasebohrn oder Nägelkauen.
Obwohl Alkoholentgiftungen in 90 Prozent der Fälle und mit besseren Ergebnissen ambulant durchgeführt werden können, besteht seitens der Krankenkassen kein Interesse an einer Ausweitung des erfolgreichen IV-Projektes in Saarlouis.
Solange qualifizierte suchtmedizinische Leistungen bei Hausärzten aus den lächerlichen Honoraren für Gesprächsleistungen und Psychosomatik wirtschaftlich nicht darstellbar sind, wird sich da auch nichts ändern...
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich E. Hammerla
FAfAM, Suchtmedizin, Psychotherapie,
Oberhausen


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