AMNOG-Revision

Wunschliste der Kontrahenten ist kunterbunt

Wenn die frühe Nutzenbewertung bald zur Überarbeitung ansteht, landen auf dem Tisch der Gesundheitspolitiker unvereinbare Reformwünsche von Industrie- und Kassenseite.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

FRANKFURT/MAIN. Während der Zeitpunkt einer möglichen Revision des AMNOG-Verfahrens durch die Koalition näher rückt, bleiben die Reformwünsche von Seiten der Hersteller und der Kassen vielstimmig.

Das wurde bei der Handelsblatt-Tagung "Pharma" am Mittwoch in Frankfurt deutlich. Der Leiter des IQWiG, Professor Jürgen Windeler, legte seine Wünsche für eine Reform klar auf den Tisch.

Aus seiner Sicht sollte beispielsweise die "überholte Sonderregelung" für Orphan Drugs im Zuge einer Überarbeitung der Regularien für die frühe Nutzenbewertung abgeschafft werden. Bisher sind 22 Erstattungsbeträge für Medikamente gegen seltene Erkrankungen vereinbart worden.

Orphan Drugs: Evidenz reicht oft nicht

Die gesetzgeberische Fiktion, wonach ein Zusatznutzen bei neuen Orphan Drugs unterstellt wird, schlage sich in einer schlechteren Studienqualität nieder.

In 47 Prozent der eingereichten Dossiers sei die vorgelegte Evidenz nicht ausreichend gewesen, um einen Zusatznutzen festzustellen, sagte Dr. Anja Tebinka-Olbrich, Referatsleiterin beim GKV-Spitzenverband.

Bei den übrigen, nicht unter die Sonderregelung fallenden Dossiers, sei nur in vier Prozent der Fälle ein nicht quantifizierbarer Zusatznutzen festgestellt worden. Berechtigt sei ein Sonderstatus für ein Orphan Drugs nur in "raren Ausnahmefällen", meinte Windeler.

Das könne dann der Fall sein, wenn der Wirkmechanismus eines Orphan Drug so eindeutig ist, dass ein medizinischer Vorteil für Patienten klar erwartbar ist.

Irritiert zeigte sich der IQWiG-Chef darüber, dass der pharmazeutische Hersteller immer häufiger "relevante Unterlagen" erst im Zuge des Stellungnahmeverfahrens nachreicht. Im vergangenen Jahr wurden bei 57 Prozent der von Herstellern vorgelegten Dossiers sogenannte Addenda eingereicht. 2014 war dies noch bei 36 Prozent der Dossiers der Fall.

Man sollte eigentlich erwarten, kritisierte Windeler, dass die relevanten Informationen bereits in den Dossiers enthalten sind und fragte laut, ob in dieser Frage "eine restriktivere Linie" sei. Nachschärfen würde der IQWiG-Chef die AMNOG-Regeln gerne auch mit Blick auf die Befristung von Bewertungsentscheidungen durch den GBA.

Teilweise seien die Auflagen des Bundesausschusses für Hersteller, zusätzliche Daten zu liefern, nicht erfüllt worden, monierte Windeler. Das sehe er "mit großem Stirnrunzeln" und mahnte, gegebenenfalls müsse über das Instrument der Befristung "neu nachgedacht" werden.

Ganz anders sind die Reformwünsche der Hersteller, die Dr. Robert Welte, Leiter Market Access bei GlaxoSmithKline, präsentierte. Welte beklagte die Bewertungsmethodik des AMNOG mit Blick auf die Zusatznutzenergebnisse bei Medikamenten gegen chronische Erkrankungen.

"Internationale Standards"

Die Vorgaben für die Validierung von Surrogatendpunkten seien "zu hoch", kritisierte Welte und forderte, die AMNOG-Regeln müssten an die "internationalen Standards" angepasst werden. Das gelte etwa für Endpunkte wie HBA1c oder progressionsfreies Überleben (PFS).

Der "generische Preisanker" sei ein "Innovationshemmschuh", beklagte Welte. Bei neuen Medikamenten, denen kein Zusatznutzen im AMNOG-Verfahren zuerkannt wird, gelten nach gesetzlicher Vorgabe die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie als die Preisobergrenze (Paragraf 35a Absatz 3 Satz 1). Diese Bestimmung sollte gestrichen werden, um die "Freiheitsgrade" in den Verhandlungen zu erhöhen.

Der GSK-Vertreter warnte davor, ein Medikament für Teilpopulationen oder sogar noch weitergehend ganz von der Erstattung auszuschließen, wenn im AMNOG-Verfahren kein Zusatznutzen belegt wird. Mit einem solchen Schritt würden Therapiealternativen für Ärzte verloren gehen, so Welte.

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA habe für die Indikationsbreite bei der Zulassung eines Medikaments Gründe gehabt, sagte der GKS-Vertreter. Auch hier zeigte sich Windeler ungerührt.

Deutschland sei das "einzige Land, das es sich leistet, EMA-Entscheidungen eins zu eins zu übernehmen." Nach dem Ende des Pharma-Dialogs im Mai wird die Koalition für eine Revision des AMNOG vielstimmige Reformwünsche übereinbringen müssen.

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