Ärzte und Kassen schlagen Alarm

Zu viele unnötige Herzeingriffe

Aus der Sicht einiger Ärzte und Kassenvertreter gibt es in Deutschland zu viele unnötige Eingriffe am Herzen. Sie haben deshalb einen Forderungskatalog vorgelegt. Ein konkretes Ziel: ein Ausbaustopp für Herzkatheterlabore.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Ärzte und Kassenvertreter fordern einen Ausbaustopp für Herzkatheterlabore, elektrophysiologische Messplätze und herzchirurgische Fachabteilungen. Handlungsbedarf sehen Experten auch bei Herzzentren für Kinder und Jugendliche.

Ihre Zahl sollte von derzeit rund 30 auf 15 oder sogar zehn gesenkt werden. Grundsätzlich sei die Versorgung gut. Es gehe nun darum, Strukturen zu schaffen, die Qualität gut messen könnten.

In einem Zehn-Punkte-Papier haben Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, des Sachverständigenrats für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und der Barmer GEK am Donnerstag in Berlin eine massive Verbesserung der Qualitätssicherung bei invasiven Herzbehandlungen, insbesondere bei der Indikationsstellung angemahnt.

Mindestmengen und die Zertifizierung von Zentren sollen ebenfalls zur Qualitätssicherung beitragen. Etwa ein Viertel der Aortenklappenzentren sei nicht ausreichend qualifiziert, eine Konzentration der Linksherzkatheter-Messplätze nötig.

Zahl der Op auf über 100.000 angestiegen

Forderungen zur Herzmedizin

Förderung der Primärprävention ab dem Kindesalter.

Höherbewertung der sprechenden Medizin.

Förderung nicht invasiver Verfahren anstelle invasiver Diagnostik ohne therapeutische Konsequenzen.

Durchgreifende Qualitätssicherung mit externen Audits.

Interdisziplinäre Indikationsstellung gemäß Leitlinien.

Förderung der Primärprävention ab dem Kindesalter.

Festlegung von strukturellen Voraussetzungen/Mindestmengen für TAVI.

Ausweislich des Deutschen Herzberichts 2014 ist die Zahl der Linksherzkatheter-Messplätze leicht auf 851 gestiegen. Rund 885.000 Linksherzkatheteruntersuchungen wurden 2013 gezählt, knapp 30.000 mehr als ein Jahr zuvor.

Die Zahl der Operationen am Herzen ist 2014 erstmals seit zehn Jahren wieder über 100.000 gestiegen.

Der ökonomische Druck auf die Operateure sei enorm, sagte der niedergelassene Kardiologe Professor Hartmut Gülker. Renditevorgaben von 15 bis 20 Prozent seien die Regel.Die bei optimaler Ausnutzung der Effizienzreserven maximal erreichbare Rendite liege bei acht Prozent.

Der Rest müsse über Menge erwirtschaftet werden. Auch in großen Herzzentren werde nach dem Motto gearbeitet "Leitlinien sind nur etwas für Idioten", sagte Gülker, der bis 2010 selbst in einem Zentrum tätig war. Die Indikationsqualität tauche in Registern nicht auf, bemängelte Gülker. Die Statistiken seien deshalb falsch. "An diesem Punkt wird allgemein gemogelt", sagte Gülker.

Prävention unterentwickelt

Die Prävention koronarer Herzkrankheiten sei unterentwickelt. Er hoffe, dass der Forderungskatalog eine Katharsis des Fachbereichs auslöse, sagte Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats. Er könne Vorbild auch für die Gelenkersatzchirurgie sein. Es gehe darum, unnötige invasive Eingriffe zu verhindern und die sprechende Medizin zu fördern.

"Es sind Entwicklungen im Gang, die der Qualität nicht förderlich sind", unterstrich Barmer GEK-Chef Dr. Christoph Straub. Das neue Qualitätsinstitut könne hier für Verbesserungen sorgen. Die Güte der Indikation werde aber auch vom IQTiG nicht gemessen werden können. "Das können nur die Fächer selbst", sagte Straub.

Das bestätigten auch die Vertreter der Fachgesellschaften, Professor Jochen Kremer vom Universitätsklinikum Schleswig Holstein und Professor Christian Hamm von der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim. Es würden Indikatioren gemessen, nicht aber, ob leitliniengerecht behandelt werde.

Den Forderungskatalog haben die Verfasser nach eigener Aussage Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgetragen.

Als Hinweis auf „tausendfache Körperverletzung“ interpretierte der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, die Äußerungen der Gruppe, die den Forderungskatalog aufgestellt hat.

„Es gibt bei Ärzten, die ohne ausreichende Indikation operieren, kein Unrechtsbewusstsein“, sagte Brysch am Donnerstagnachmittag der „Ärzte Zeitung“.

Invasive Eingriffe ohne Indikation erschienen in keiner Fehlerstatistik und beschäftigten keine Staatsanwälte.

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Kommentare
Gerhard Leinz 19.06.201508:13 Uhr

Antragspflicht könnte helfen

Es gibgt etwas was auch für viele Kollegen die dem OP-Druck der Konzerne ausgesetzt sind eine Hilfe sein könnte: Antragspflicht bei Operationen bei nicht sicher dokumentierter Dokumentation einer Indikation und nicht sicher nachgewiesener Wirksamkeit von Operationen. Die "Fließbandmedizin" legt den Fokus auf Umsatzrendite, sie frist immer mehr Mittel, die woanders dringender gebraucht werden. Die Antragspflicht von Behandlungen wird bei Psychotherapien seit vielen Jahren klaglos akzeptiert und umgesetzt. Da kann man sich fragen: Werden bei Behandlung psychisch kranker Hürden aufgebaut, die woanders besser gebraucht würden? Die "sekundären" Leistungsdaten(Arbeitsunfähig-keitszeiten, Frühverrentungen, Staionäre Kosten) in Bezug auf die Wirksamkeit des Behandlungssystem bei psychischen Störungen sind desolat. In Bezug auf die psychischen Störungen heißt schwellen abbauen, den Zugang verbessern. Da sind selbst Heroin Abhängige in bezug auf ambulantes aufgefangen werden besser dran als Menschen mit Burn-Out-Depression. Der Gedanke "Schwellen abbauen" ist in Bezug auf Heroin Süchtige schon lange akzeptiert. In Bezug auf Behandlung von Burn-Out, da tummeln sich die Kliniken der "Psycho Industrie" mit ihren Angeboten.

Gerhard Leinz - Kiel

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