Wenn Intensivbetten knapp werden
Bundeskabinett will Ex-post-Triage verbieten
Ärzten soll eine Ex-post-Triage bei pandemiebedingten Überlastungen von Intensivstationen nicht möglich sein. So sieht es der jetzt beschlossene Kabinettsentwurf zur Triage vor.
Veröffentlicht:Berlin. Das Kabinett hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, in dem auch die Triage in einer besonderen Ausnahmesituation geregelt werden soll.
Gebe es aufgrund einer übertragbaren Krankheit keine ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten, dürfe eine Zuteilungsentscheidung nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit getroffen werden, heißt es in der Vorlage.
Explizit ist geregelt, dass eine Ex-post-Triage verboten ist. „Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen“, steht in dem Entwurf. In einer anfänglichen Referentenfassung war die Ex-post-Triage noch enthalten gewesen. Im Juni hatte sie Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) nach zahlreicher Kritik aber wieder aus dem Text gestrichen.
Lauterbach: Engpässe sollen erst gar nicht entstehen
„Wer ein Intensivbett benötigt, muss es bekommen – auch in der Pandemie“, sagte Lauterbach am Mittwoch. Er werde sich deshalb durch eine konsequente Bekämpfung der Pandemie dafür einsetzen, dass Engpässe in der intensivmedizinischen Versorgung gar nicht erst entstehen.
Mit dem Gesetzentwurf werde klargestellt, dass Menschen mit Behinderungen oder Hochaltrige in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden dürfen, wird Lauterbach in einer Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums zitiert.
Konkret sieht der Gesetzentwurf im neuen Paragrafen 5c des Infektionsschutzgesetzes folgende Regelungen vor:
- Niemand darf bei einer ärztlichen Entscheidung über die Zuteilung von Intensivbetten benachteiligt werden. „Inbesondere“ dürften eine Behinderung, der Grad der Gebrechlichkeit, das Alter, die ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung keine Rolle spielen.
- „Eine Zuteilungsentscheidung darf nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden.“ Komorbiditäten dürfen bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit nur berücksichtigt werden, „soweit sie aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern“. Kriterien, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, seien nicht zu beachten. Dazu zählt der Entwurf „insbesondere eine Behinderung, das Alter, die verbleibende mittel- oder langfristige Lebenserwartung, der Grad der Gebrechlichkeit und die Lebensqualität“.
- Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen. Der Abbruch einer noch erfolgsversprechenden und vom Patientenwillen getragenen Behandlung zugunsten eines anderen Patienten mit einer höheren aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit ist damit untersagt.
- Bei der Zuteilung von Intensivbetten gilt das Mehraugenprinzip. Grundsätzlich soll gelten: Zwei Fachärztinnen oder -ärzten, die unter anderem über mehrjährige Erfahrungen im Bereich Intensivmedizin verfügen, müssen die Patienten unabhängig voneinander begutachten und zu einer einvernehmlichen Entscheidung kommen. Kommt es nicht zu einer Einigung, wird ein dritter Arzt hinzugezogen und die Zuteilungsentscheidung ist dann „mehrheitlich zu treffen“. Bei Patienten mit Behinderung oder Komorbiditäten ist laut Entwurf zudem die Einschätzung einer Person mit besonderer Fachexpertise zu berücksichtigen.
Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht
Mit dem Gesetzentwurf will das Bundesgesundheitsministerium einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von Dezember 2021 umsetzen. Die Richter hatten den Staat dazu verpflichtet, Schutzvorkehrungen zu treffen, damit Menschen in bestimmten Konstellationen – wie etwa bei knappen Intensivbetten – wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt werden.
Der Marburger Bund hatte sich in einem Papier trotzdem dafür eingesetzt, an der Ex-post-Triage festzuhalten. Ein „first come first serve“-Grundsatz lasse sich weder ethisch begründen, noch mit der Realität in den Krankenhäusern in Einklang zu bringen. Kritik an einer Ex-post-Triage war dagegen von der Bundesärztekammer vorgetragen worden. (juk)