Gutachten
Zwang zur Tarifeinheit ist verfassungswidrig
Die Regierung will die Tarifeinheit gesetzlich festschreiben. Für Klinikärzte hätte das massive Folgen.
Veröffentlicht:BERLIN. Das von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigte Gesetz zur Herstellung der Tarifeinheit in Betrieben wäre höchstwahrscheinlich verfassungswidrig.
Zu diesem Ergebnis kommt der Verfassungsrechtler Professor Udo Di Fabio in einem aktuellen Gutachten für den Marburger Bund (MB).
"Es ist ein tiefer Grundrechtseingriff bis in den Kern des Grundrechts", sagte Di Fabio am Freitag in Berlin. Solch ein Eingriff wird nach seinen Angaben nur durch schwerwiegende Gefahren für hochrangige Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt.
Die liegen aus Sicht des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht aber derzeit nicht vor. Zur Tarifeinheit wird für den Herbst ein Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium erwartet.
Das Gesetz soll der stärksten Gewerkschaft in einem Betrieb das alleinige Recht zum Abschluss von Tarifverträgen einräumen. Die Arbeitgeberverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßen das Vorhaben.
Berufsgewerkschaften wie der MB wenden sich dagegen. "Wir werten das als einen Frontalangriff auf unsere gewerkschaftliche Existenz", sagte MB-Chef Rudolf Henke. "Mit freiheitlichen Grundsätzen ist das nicht zu vereinbaren", schimpfte er.
CDU ist sich nicht einig
Aus der Unionsfraktion schildert der Ärztefunktionär und CDU-Bundestagsabgeordnete ein geteiltes Meinungsbild. "Da wird um die Einschätzung gerungen", sagte er.
Der MB wisse auch, dass Justiz- und Innenministerium in internen Vermerken Zweifel an dem Gesetzesvorhaben äußern. "Wir wären schon sehr überrascht, wenn die erneute fachliche Prüfung im Innen- und Justizministerium zu einer 180-Grad-Wende führen würde", sagte Henke.
Sein Eindruck: "Die Probleme scheinen bewusst zu sein." Das aktuelle Gutachten führe sie im Detail vor Augen.
Verfassungsrechtler Di Fabio macht darin deutlich, dass Tariffreiheit und Arbeitskampf einem starken Schutz unterliegen. Arbeitskampfmaßnahmen dürften auch im Notstand nicht vom Staat eingeschränkt werden.
Es sei "ein Stück von der Verfassung gewollte Regelungsfreiheit", dass es kein Gesetz gebe, das den Arbeitskampf, die Tarifordnung und die Bildung von Gewerkschaften näher regeln würde.
Der Gesetzgeber müsse "schonende Möglichkeiten" suchen, hier einzugreifen. Vorstellbar sei zum Beispiel eine Verpflichtung, Streiks mit einer bestimmten Frist anzukünden. (ami)
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