Kommentar zum Ärztetag

Zwischen ärztlicher Kunst und Kommerz

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Ökonomie und Medizin sind keine Antipoden. Es sind schlichtweg zwei verschiedene Logiken, die je für sich ihre Berechtigung haben."

Diese Anfangsthese im Impulsreferat des Freiburger Medizinethikers Professor Giovanni Maio beim Ärztetag hätte hoffen lassen können: auf eine möglichst vorurteilslose, an Fakten orientierte Debatte über Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Wettbewerb im Gesundheitswesen.

Doch der Professor verstieg sich rasch in einer Dämonisierung der Ökonomie, und zwar vor allem deshalb, weil er auf jegliche empirische Fundierung seiner theoretischen Überlegungen verzichtete. Das Ergebnis waren horrible Phantasien.

Die sich freilich in manchen Punkten mit der realen Erlebniswelt von Ärzten treffen. Beispielsweise die Arbeitsverdichtung in Kliniken. Oder die als Formalismus ausgelegten Dokumentationspflichten.

Oder der Verlust an Zeit und Möglichkeiten, sich dem Patienten zuzuwenden. Das ist alles in Teilen richtig, in Teilen aber auch falsch.

Tatsächlich haben wir seit 30 Jahren eine Debatte über die Notwendigkeit sprechender Medizin. Die Psychotherapie ist seit vielen Jahren in die vertragsärztliche Versorgung integriert.

Die Palliativmedizin ist ein jüngerer Zweig, der sich langsam zu etablieren beginnt - eine Medizin für Menschen, bei denen nur noch das humane, möglichst schmerzfreie Sterben und nicht mehr das ökonomische Ergebnis zählt.

Die Frage nach der eigenen Verantwortung wurde nicht gestellt

Das sind Erfolge von engagierten Ärzten und Gesundheitspolitikern, und es ist nicht bekannt, dass die Ökonomie dagegen Einwände erhoben hätte.

Richtig ist, wie Maio befürchtet, dass Ärzte Gefahr laufen, "dass sie durch das System sukzessive innerlich umprogrammiert werden" und sich von ökonomischer Optimierungslogik "kapern" lassen.

Wer die letzten 30 Jahre einer Serie von EBM-Reformen Revue passieren lässt, findet eindrucksvolle Beispiele, in welchem Ausmaß wirtschaftliche Anreize reales Verhalten und Fehlverhalten produzieren, Korrekturen auslösen und weitere Reformen bewirken.

Mit Ernüchterung muss jedoch konstatiert werden, dass die Regelwerke der ärztlichen Selbstverwaltung entstammen oder zumindest von ihr maßgeblich beeinflusst sind. Wobei alle Reformen durchweg von gutem Willen beflügelt waren.

Doch die entscheidende Frage nach dem eigenen Anteil an Reglementierung, Ökonomisierung und Kommerzialisierung wurde nicht gestellt.

Stattdessen wurde ein Dämon bemüht, der nicht zu fassen ist und der irgendwo im feindlichen Nirwana vermutet wird. Damit wurde die Chance vergeben, aus der professionellen Kompetenz der Selbstverwaltung nach besseren Alternativen zu suchen.

Lesen Sie dazu auch: Ärztetag warnt: Kommerz gefährdet die Medizin

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 31.05.201319:32 Uhr

Der letzte Satz nochmal ...

Entlarvend, dass die DÄT-Delegierten gar nicht bemerken wollten, dass sie ihren TOP Armut und Gesundheit, mit dem Wege aus der realen Benachteiligung prekärer Einkommens- und Sozialschichten durch Krankheit und frühen Tod aufgezeigt werden sollten, damit auf einfältige Weise konterkariert haben.

Dr. Thomas Georg Schätzler 31.05.201319:22 Uhr

Kumpanei mit Schwarz-Gelb?

"Ärzte kämpfen an der Seite der Koalition", verbreitete die Deutsche Presseagentur -dpa- als ein treffendes Fazit des 116. Deutschen Ärztetages (DÄT) in Hannover. Erregte Proteste in Präsidium und Plenum des DÄT waren die Folge. Doch der dpa-Vorwurf der Kumpanei mit Schwarz-Gelb ist durchaus berechtigt, wie die regierungsferneren politischen Kommentatoren unterstreichen. Denn nach Ausflügen in die Medizinische Ethik mit einem Vortrag des Freiburger Professors Dr. med. Giovanni Maio und ''Krokodilstränen'' der DÄT-Delegierten über Armut und Benachteiligungen bei Gesundheit und Krankheit in Deutschland, hat man sich augenblicklich wieder der Monetik zugewandt. Der BÄK-Präsident Professor Dr. med. Frank Ulrich Montgomery warnte vor einem "Sozialistischen Einheitsbrei" bei der "Bürgerversicherung": Vgl. Schätzlers Schafott http://www.springermedizin.de/wir-wollen-n-i-c-h-t-einen-sozialistischen-einheitsbrei/4437314.html

Der DÄT hat sich ''alternativlos'' vom BÄK-Vorstand auf eine direkte Wahlkampfhilfe für Schwarz-Gelb einschwören lassen, ohne Alternativen überhaupt anhören und diskutieren zu wollen. Die mehrheitlich geforderte "einkommensunabhängige Gesundheitspauschale" als Krankenversicherung der Zukunft verlangt, dass Auszubildende mit 700 bis 1.000 € mtl. genauso viel einzahlen müssen, wie GKV-Kassen-Vorstandsvorsitzende, die mit 20.000 € monatlich nach Hause gehen. Alle finanzieren mit 200-250 € mtl. Einheitspauschalen eine zusätzlich noch profitorientierte, gigantische Krankenversicherungs-AG?

Fertig ist eine Umverteilungsmaschinerie von Unten nach Oben mit einer sozial diskriminierenden, im Übermaß benachteiligenden und verfassungswidrigen Kopfpauschale, mit der bereits ein Ex-Bundesgesundheitsminister Dr. med. Philipp Rösler auf die Nase gefallen ist. Entlarvend, dass die DÄT-Delegierten gar nicht bemerken wollten, dass ihr TOP Armut und Gesundheit, mit dem Wege aus der realen Benachteiligung prekärer Einkommens- und Sozialschichten durch Krankheit und frühen Tod aufgezeigt werden sollten, damit auf einfältige Weise konterkariert haben.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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