COVID-Impfstoff

Ärzte ohne Grenzen wirft BioNTech Blockadehaltung vor

Die Versorgung der Entwicklungs- und Schwellenländer mit Corona-Impfstoff gilt noch immer als ungenügend.WHO, Industrie und Hilfsorganisationen sind weit davon entfernt, an einem Strang zu ziehen.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht: | aktualisiert:
Des Pudels Kern? Ob die 3. Welt mit Patentfreigabe schneller zu mehr Corona-Impfstoff gelangt, ist umstritten. Die Industrie setzt auf Technologietransfer. Der geht vielen nicht schnell genug.

Des Pudels Kern? Ob die 3. Welt mit Patentfreigabe schneller zu mehr Corona-Impfstoff gelangt, ist umstritten. Die Industrie setzt auf Technologietransfer. Der geht vielen nicht schnell genug.

© Feng Yu / stock.adobe.com

Berlin/Marburg. Im August vorigen Jahres gab BioNTech den Aufbau einer Impfstoffproduktion in Afrika bekannt. Partner auf Ankündigungsebene waren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ruandas Präsident Paul Kagame, Senegals Präsident Macky Sall sowie der Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), Werner Hoyer. Organisiert worden war das Treffen im Auftrag BioNTechs von der maltesischen Kenup Foundation.

Ausdrücklich die Rede war zunächst von Malaria- und Tuberkuloseimpfstoffen, die nach erfolgreicher Entwicklung in den BioNTech-Labors auf der afrikanischen Anlage vom Band rollen sollen. Eher nebenbei fand auch BioNTechs mRNA-Impfstoff zur COVID-Prävention Erwähnung, der „für den Vertrieb in Afrika grundsätzlich auch in den Anlagen vor Ort hergestellt werden kann“.

Moderna verzichtet auf Patent

Und genau darum ist jetzt ein heftiger Streit entbrannt, der die Forderung nach Patententeignung erneut aufflammen lässt. Einem zeitgleich in der „Welt“ und im „British Journal of Medicine“ erschienenen Bericht zufolge, soll die Kenup Foundation bei mehreren afrikanischen Regierungen massiv Stimmung gegen ein alternatives Projekt zur autarken Impfstoffproduktion Afrikas gemacht haben.

Es geht um den vergangenen Juni von der Weltgesundheitsorganisation angestoßenen „mRNA vaccine technology transfer hub“ mit Sitz im südafrikanischen Cape Town. Operative Projektträger sind die dortigen Biotechunternehmen Afrigen und Biovac, die beabsichtigen, eine eigene COVID-Vakzine auf Basis der mRNA-Technologie zu entwickeln und zu produzieren.

Um die Arbeiten zu beschleunigen, wird auf Daten des Moderna-Präparates Spikevax® zurückgegriffen. Der US-Hersteller ist bereit, eine Zeit lang auf seine geistigen Eigentumsrechte zu verzichten.

Ärzte ohne Grenzen: Dauert alles zu lange

Berichten zufolge soll dieser COVID-Impfstoff für Afrika 2024 marktreif sein. Dann sollen auch andere Entwicklungs- und Schwellenländer kostenlose Lizenzen und Fertigungs-Know-how erhalten.

Laut „Welt“ hat die Kenup Foundation nun in einem Schreiben an mehrere afrikanische Länder eindringlich dazu aufgefordert, das Hub-Projekt umgehend zu stoppen. Angesichts der zeitlich begrenzten Verzichtserklärung Modernas auf seine Patente sei das Vorhaben nicht nachhaltig. Vielmehr drohten rechtliche Auseinandersetzungen, heißt es, falls Moderna seine Zusage revidiere. Die Entwicklung wäre möglicherweise umsonst gewesen. Moderna soll ein derartiges Szenario bereits dementiert haben.

Den Hautgout erhält die Aktion der Stiftung vor allem deshalb, weil sie, was keineswegs bestritten wird, auch Gelder von BioNTech erhält.

Die internationale Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, die sich seit Jahren für eine bessere Versorgung der 3. Welt mit Arzneimittel- und Impfstoff-Innovationen einsetzt und zu diesem Zweck auch Zwangslizenzen befürwortet, wirft BioNTech nun „Blockadepolitik gegen eine schnelle Ausweitung der Impfstoffproduktion“ vor. Man begrüße zwar, dass die Mainzer Firma eigene Anstrengungen zum Aufbau einer afrikanischen Impfstoff-Fertigung unternehme. Doch dauere das zu lange.

mRNA-Produktion im Container

Wie BioNTech am Mittwoch ankündigte, soll Mitte dieses Jahres seine erste mRNA-Produktion in Afrika entstehen. In Marburg präsentierte das Unternehmen dazu ein modulares Container-Konzept („BioNTainer“), mit dem sich Kapazitäten sukzessive aufstocken ließen. Zur Herstellung „beispielsweise bis zu 50 Millionen Dosen des Pfizer-BioNTech COVID-19-Impfstoffs pro Jahr“ würden zwei Containermodule benötigt: Einer für die mRNA-Wirkstoffproduktion und der zweite zur Formulierung des abfüllfertigen Impfstoffs.

Starten könne die Produktion 12 Monate nach Eintreffen des ersten Containers in Afrika. Erste Zielländer sind laut Unternehmen der Senegal, Ruanda und „gegebenenfalls Südafrika“. Abfüllung und Verpackung könnten Kooperationspartner in Ghana und Südafrika übernehmen.

Ärzte ohne Grenzen hält dagegen: „Soviel Zeit haben wir in der fortschreitenden Pandemie nicht“. Man habe in einer Studie „120 Pharmafirmen im globalen Süden identifiziert“, die in der Lage seien, binnen Monaten in die Produktion von mRNA-Impfstoffen einzusteigen, „würde BioNTech einem Technologietransfer zustimmen.“ Diese Firmen mit Sitz in Afrika, Asien und Lateinamerika seien sämtliche entweder von der US-Oberbehörde FDA, der EU-Agentur EMA oder der WHO „für die Herstellung steriler Injektionsmittel zertifiziert“.

LINKE fordern Patentfreigabe

Unterdessen findet ebenfalls am heutigen Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestages eine öffentliche Experten-Anhörung zu einem Antrag der LINKEN-Fraktion statt, die auf Patentfreigabe für COVID-Impfstoffe, -Therapeutika und -Tests drängt. Die Bundesregierung möge, heißt es in der Beschlussvorlage, einen entsprechenden Antrag Südafrikas und Indiens („TRIPS-Waiver“) bei der Welthandelsorganisation unterstützen.

Dort ist dieses Ansinnen schon seit geraumer Zeit anhängig. Anfang Mai vorigen Jahres sorgte US-Präsident Biden für Aufsehen, als er überraschend Unterstützung in den Verhandlungen zur Patentaussetzung auf WTO-Ebene signalisierte. Deutschland, die Schweiz und Großbritannien waren und sind bisher ebenso dagegen wie die EU-Kommission.

Selbst wenn – was unwahrscheinlich ist – der LINKEN-Antrag im Parlament angenommen würde, ist er angesichts der entschiedenen Gegnerschaft der FDP zur Patentfreigabe spätestens auf Regierungsebene chancenlos. Darüber hinaus gilt das „Nein“ der Schweiz, Heimathafen der beiden Pharma-Schwergewichte Roche und Novartis, als so gut wie unumstößlich.

vfa: Ja zu Technologietransfer

Die Pharmaindustrie konzediert immerhin, dass sie ihr Wissen wird teilen müssen. Im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels am Donnerstag und Freitag dieser Woche erklärte Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa ), langfristig komme es darauf an, „dass Afrika eine eigene Impfstoffversorgung aufbauen kann. Das wird nur über einen Technologietransfer gehen und zwar im Rahmen von Kooperationen derer, die über diese Kompetenzen verfügen.“

Steutel verweist auf Zahlen des internationalen Herstellerverbands IFPMA, wonach zur Herstellung von COVID-19-Impfstoffen weltweit bisher 343 Kooperationen vereinbart worden sind.

Die nachmittägliche Sitzung des Gesundheitsausschusses verlief dann als gleichberechtigtes Hin und Her zwischen Befürwortern und Gegnern einer Patentfreigabe. Diese warnten, dass dann jegliche private Innovationsfinanzierung – und nicht nur im Kontext künftiger Pandemien – auf der Strecke bliebe.

Fördergeld stärker an Bedingungen knüpfen!

Die Befürworter hingegen erwarten von einem lediglich kontrollierten Tech-Transfer unter Hoheit der Innovatoren keinen entscheidenden Fortschritt ärmerer Länder bei der Pandemiebekämpfung.

Einig waren sich die befragten Fachleute aus Universitäten, Hilfsorganisationen und Verbänden allerdings in der Forderung, dass öffentliche Forschungsförderung erheblich stärker mit konkreten Verteilungszusagen zugunsten ärmerer Länder zu verknüpfen sei, als dies im Rahmen der Mittelvergabe zur Erforschung eines Corona-Impfstoffs der Fall war.

Wann der Bundestag über den Antrag der LINKEN abstimmt, ist noch nicht bekannt.

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Kommentare
Dr. Ronald Gommann 17.02.202210:40 Uhr

Die bisherigen m-RNS Impfstoffe taugen aus logistischen Gründen (effektive Kühlkette) m. E. nicht für alle ländlichen Bereiche in Afrika ( -> WDR: im Kongo sind 70km schon oft eine Tagesreise mit dem PKW )
Eine Produktion vor Ort greift da zu kurz.. ist jedoch besser als das hier praktizierte "Entsorgen abgelaufener Impfdosen".
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