Ärzte sind keine "Kassen-Handlanger"

Lange war das Urteil erwartet worden: Sind Vertragsärzte Erfüllungsgehilfen der Kassen, oder sind sie es nicht? Jetzt hat der BGH klargestellt: Ärzte arbeiten für ihre Patienten und nicht für die Kassen.

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Klares Zeichen: Der Patient wählt den Arzt.

Klares Zeichen: Der Patient wählt den Arzt.

© Zentrixx / imago

KARLSRUHE (mwo/sun). Ärzte, die Gelder von Pharmafirmen annehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Freitag veröffentlichten Grundsatzbeschluss des Großen Senats für Strafsachen entschieden.

Zur Begründung verwiesen die Karlsruher Richter auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. Für sie sei der Arzt tätig, nicht für die Kassen.

Das Gesetz sieht den Straftatbestand der Bestechlichkeit nämlich nur für Personen vor, die entweder als "Amtsträger" oder als "Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs" Vorteile annehmen.

Bei Instanzgerichten und Medizinrechtlern war nun seit Jahren umstritten, ob dies auf Ärzte zutreffen kann.

Dies hat der BGH nun verneint. Zur Begründung verwiesen die Karlsruher Richter auf das "personal geprägten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt". Nicht die Krankenkasse, sondern der Patient wähle den Arzt aus.

Und der Arzt verordne Arznei- und Hilfsmittel nicht im Auftrag der Krankenkassen, sondern für die Patienten.

Vorgabe für weitere Beschluss

Die Bindungen an die öffentlich-rechtlichen Krankenkassen seien demgegenüber nicht derart eng, dass die freiberuflich tätigen Ärzte als deren Beauftragte oder gar als Amtsträger angesehen werden könnten.

Im konkreten Fall hatte eine Pharmareferentin einem Arzt Provisionen von fünf Prozent des Herstellerabgabepreises versprochen und ihm mehrere als Vortragshonorare getarnte Schecks über insgesamt rund 18.000 Euro übergeben.

Das Landgericht Hamburg hatte den Arzt als "Beauftragten" der Krankenkasse gesehen und beide wegen Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit zu Geldstrafen verurteilt.

Während der Arzt die Strafe akzeptierte, zog die Pharmareferentin vor den BGH. Dort wird sie nun voraussichtlich Erfolg haben. Formal muss allerdings abschließend der Fünfte BGH-Strafsenat über ihre Revision entscheiden.

Der Beschluss des Großen Senats bindet auch den Dritten BGH-Strafsenat, der noch über den Bestechungsvorwurf wegen Vergünstigungen für die Verordnung von Reizstromtherapiegeräten zu befinden hat.

DHÄV: Mehr Vertragsfreiheit

Die Reaktionen auf das Urteil fallen unterschiedlich aus. Gerade die Ärzteschaft zeigte sich erleichtert, dass die Freiberuflichkeit des Berufsstandes bestätigt wurde.

Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte das BGH-Urteil: "Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird wesentlich vom persönlichen Vertrauen und der Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen sind", sagte BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery.

Mit einem anderen Urteil wären Ärzte gezwungen gewesen, bei jedem Rezept, jeder Therapieentscheidung und jeder Überweisung die Interessen der Patienten gegenüber denen der Krankenkassen abzuwägen.

Das Urteil stärke die Vertragsfreiheit der Ärzte, sagte der Chef des Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt. Jegliche Versuche der Industrie, Mediziner mittels ökonomischer Anreize zu beeinflussen, seien weiterhin strikt abzulehnen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betonte, dass die Richter "vollkommen richtig festgestellt" hätten, dass Ärzte keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen.

Rechtlicher Rahmen bereits verschärft

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, sieht in dem BGH-Beschluss einen Sieg für die ärztliche Freiberuflichkeit: Ärzte seien schließlich keine Handlanger der Kassen, sondern an erster Stelle dem Patientenwohl verpflichtet.

Auch CDU-Politiker Jens Spahn begrüßte das BGH-Urteil: "Ärzte sind Freiberufler und keine quasi-angestellten Amtsträger von Kassen."

Unabhängig davon sei jede Form von Vorteilsannahme zu verurteilen. "Daher haben wir die entsprechenden sozial- und berufsrechtlichen Regeln bereits verschärft", sagte Spahn.

Der GKV-Spitzenverband kommentierte das Urteil kritisch: "Der heutige Beschluss ist kein Freifahrtschein für niedergelassene Ärzte und Pharmareferenten, sondern ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen", sagte Gernot Kiefer, Vorstand des Verbandes.

Ähnlich äußerte sich Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink: "Der Gesetzgeber ist gefordert, zu überprüfen, ob die bestehenden gesetzlichen Regelungen ausreichend sind, um Bestechlichkeit von Ärzten zu verhindern."

Es dürfe nicht sein, dass einzelne Ärzte aus Profitinteressen bestimmte Leistungen verordnen, die medizinisch nicht sinnvoll seien.

Industrie für klare Regeln

Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Birgit Fischer, betonte: Patienten müssten sicher sein, dass Korruption im Gesundheitswesen keinen Platz habe.

Bereits im Jahr 2004 habe die Pharmaindustrie die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) geschaffen. Deren Geschäftsführer, Holger Diener, forderte, dass bei der Zusammenarbeit von Pharmaunternehmen mit Ärzten trotz des Beschlusses klare Spielregeln eingehalten werden.

Der Anschein einer unlauteren Beeinflussungvon Beschaffungs-, Therapie- oder Verordnungsentscheidungen müsse vermieden werden, so Diener.

Der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch forderte, dass korruptes Verhalten strafrechtlich vom Gesetzgeber geahndet werden müsse.

"Das gilt besonders für Ärzte, die für Patientenzuweisungen Prämienzahlungen, Geldgeschenke und Sachzuwendungen annehmen", sagte Brysch. Patienten müssten darauf vertrauen können, dass ihr Wohl im Vordergrund stehe und nicht die Gewinnmaximierung des Arztes.

Aus Sicht der Linken-Politikerin Kathrin Vogler ist Bestechung und Bestechlichkeit kein Kavaliersdelikt. Das BGH-Urteil verneine zwar, dass Kassenärzte und Mitarbeiter von Pharmaunternehmen bestraft werden könnten.

Allerdings stehe es dem Gesetzgeber frei, Regelungen auf den Weg zu bringen, die die Korruption im Gesundheitswesen effektiv strafrechtlich ahndeten.

Az.: GSSt 2/11

Lesen Sie dazu auch: Der Standpunkt: Der große Schatz des Vertrauens BGH: Bestechlichkeits-Paragraf gilt bei Ärzten nicht

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