Künstliche Intelligenz in Onkologie
Algorithmen bleiben ärztliche Assistenz
Künstliche Intelligenz kann gerade in der onkologischen Diagnostik für mehr Tempo sorgen. Vor Europaabgeordneten reklamieren Forscher aber die Oberhand in puncto KI bei den behandelnden Ärzten.
Veröffentlicht:Brüssel. Der gezielte Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) zur Unterstützung von Onkologen im Versorgungsalltag von der Diagnostik bis zur Therapie verspricht enormes Potenzial, ist sich die französische Europaabgeordnete und Onkologin Véronique Trillet-Lenoir von der liberalen Fraktion Renew Europe sicher.
Am Donnerstagnachmittag erteilte sie bei einer gemeinsamen öffentlichen Anhörung der Sonderausschüsse des EU-Parlamentes zur Krebsbekämpfung (BECA) und zu Künstlicher Intelligenz im Digitalen Zeitalter (AIDA) aber eine klare Absage an Zukunftsvisionen des Versorgungsalltages, in denen Ärzte und Krebspatienten ins Schlepptau einer autonomen KI gelegt würden.
In der Anhörung ging es um die Frage, wie das Potenzial des KI-Einsatzes in der Krebsversorgung gehoben werden kann. „Es muss und wird immer so sein, dass KI sinnvoll bei Diagnostik und Therapie unterstützen kann, die Entscheidungshoheit aber immer bei den Ärzten liegt – und letzten Endes der Patient über die Therapie entscheidet“, hob die BECA-Berichterstatterin hervor.
Generell sehe sie fast unbegrenzte Möglichkeiten, auch von Patienten generierte sowie Umweltdaten in die KI-optimierte onkologische Versorgung einzubringen – sogar virtuelle klinische Studien könnten möglich sein, so Trillet-Lenoir.
Entlastung und mehr Zeit für Patienten
Für Professor Regina Beets-Tan, Leiterin der Radiologie am Netherlands Cancer Institute in Amsterdam, pflichtete Trillet-Lenoir bei. „Radiologen müssen bisher in Screenings mit eigenen Augen mehrere Hundert Bilder am Tag auf winzigste Abweichungen und Hinweise auf Tumoren befunden. Das ermüdet. KI hingegen ist nie müde“, verortete sie einen zentralen Einsatzort KI-basierter Assistenzsysteme in der Diagnostik.
Untersuchungen in puncto Mamma-Ca hätten sogar gezeigt, dass allgemein tätige Radiologen mit Unterstützung der KI auf das diagnostische Niveau ihrer auf die Brust spezialisierten Kollegen kämen. Das sei mit Blick auf die Tatsache, dass eine frühe Detektion bessere Heilungschancen verspräche, nicht unerheblich.
Wichtig sei auch hier, dass der befundende Arzt die KI-Diagnose nicht als sakrosankt hinnehme, sondern seine eigene Erfahrung entscheiden lasse. „KI kennt keine ärztliche Erfahrung“, so Beets-Tan. Den Zeitgewinn durch den KI-Einsatz könnten Ärzte dann für ausführlichere Patientengespräche nutzen, die die Betroffenen im Versorgungsalltag auch zu Recht einforderten.
Verbesserte Screeningprogramme angemahnt
Um Krebs im Sinne des Anfang Februar von der EU-Kommission verabschiedeten Krebsplans effektiv bekämpfen zu können, plädierte Beets-Tan vor dem BECA-Sonderausschuss für eine EU-weite Optimierung bestehender Mammographie- und anderer onkologischer Screening-Programme in den Mitgliedstaaten sowie nationale Anstrengungen zur Implementierung der personalisierten Medizin – und damit der auch wesentlich von KI begünstigten Präzisionsonkologie – und das Einrichten ebenfalls EU-weite Forschungsprogramme für die frühe Krebsdiagnostik und minimal-invasive onkologische Therapie.
Defizitäre Datenlage bei seltenen Krebserkrankungen
Für Beets-Tan, die auch Präsidentin der European Society of Radiology ist, stehen Ärzte wie Informatiker bei der KI-Diagnostik vor einem großen Problem: Die Algorithmen können nur so gut sein, wie die ihnen zugrunde liegenden Daten. Denn jedes Tool müsse im Zuge des Maschinellen Lernens (ML) unter Zuhilfenahmen von Tausenden Echtbildern trainiert werden, um Abweichungen diagnostizieren zu können. Gerade für seltene Krebsformen fehlten aber diese Datenmengen bisweilen.
Hier könne in Zukunft durchaus abgeholfen werden, ist sich Amparo Alonso-Betanzos, Professorin für Computer Science and Artificial Intelligence an der CITIC-University in A Coruña sicher. Die Präsidentin der spanischen KI-Vereinigung schlägt dazu ein „Human-in-the-loop Machine Learning“ vor.
Konkret könnten Onkologen aus dem klinischen Versorgungsalltag ihre ärztliche Expertise nutzen und beim ML Bilder aus der Versorgung einbringen, die sie entsprechend „erläutern“, damit die Algorithmen spezifischer werden. Auf lange Sicht könnte somit die humane Expertise die Datenlücken bei seltenen Krebserkrankungen schließen helfen.
In Galicien screent KI bereits allein
In puncto Screening verwies Alonso-Betanzos auf das Projekt CADIA, das im galicischen Gesundheitssystem eingesetzt werden soll, um Brustkrebs mittels einer eigens dafür kreierten KI-Einheit frühzeitig zu detektieren. Zum Einsatz kämen von der technischen Seite her die Mammographie, die Biopsie und die digitale Brusttomosynthese.
Dafür würden alle verfügbaren pathologischen Muster und Bilder integriert. Nach deren vollständiger Digitalisierung sollen objektive Marker für die Analyse der verschiedenen Brustregionen definiert werden, die als risikobehaftet gelten.
Danach soll der Screeningprozess so automatisiert werden, dass die KI-Systeme die Bilder begutachten und das Risikoassessment anhand der vordefinierten Marker vornehmen. Die Radiologen erhalten diese Assessments und nehmen nur bei den Patientinnen weiterführende Begutachtungen vor, bei denen ein Risiko oder ein Verdacht auf Krebs bestehe.