Künstliche Intelligenz

Auch bei DiGA Gender Bias zu befürchten

Jedes Geschlecht brauche seine eigenen Gesundheits-Apps, heißt es bei der Medica. Oft fehle der kritische Blick auf Risiken, Nebenwirkungen und Grenzen.

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Düsseldorf. Bei vielen Gesundheits-Apps gibt es ein Problem: Sie ignorieren die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, oder man weiß nicht, ob und in welchem Ausmaß geschlechterspezifische Aspekte bei der Entwicklung eine Rolle gespielt haben. „Bei der Zulassung müsste man zumindest wissen, ob Gender-Aspekte berücksichtigt worden sind oder nicht“, sagte Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, beim digitalen Medica Econ Forum der Techniker Krankenkasse (TK). Sie sieht die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), also die „Apps auf Rezept“, zurzeit als Riesen-Feldversuch.

Ärzte wüssten bei der Verordnung nicht, wie die DiGA bei Frauen und Männern wirken. „Das ist ein Beratungsproblem, das wir gemeinsam stemmen müssen.“ Groß sieht hier sowohl die Ärzte als auch die Krankenkassen in der Pflicht. Gendermedizin sei nicht Frauenmedizin, sondern Medizin für Frauen und Männer, die aber die Unterschiede in den Blick nehme, betonte sie. „Das ist ein Kapitel, dem wir uns nicht nur in der analogen Welt widmen müssen, sondern auch in der digitalen.“ So sollte es bei Apps um die unterschiedlichen Symptome bei Männern und Frauen gehen, um Unterschiede bei den Therapien und bei der Nutzung von Apps. Man dürfe die alten Fehler bei der Digitalisierung nicht wiederholen, bestätigte Barbara Steffens, die Leiterin der TK-Landesvertretung Nordrhein-Westfalen. Allerdings: Überwiegend Männer programmierten Apps, die Grundlagen seien oft Studien, die männerbasiert sind oder auf geschlechterundifferenzierten Daten beruhen. Die unterschiedliche Betroffenheit von Männern und Frauen und der unterschiedliche Krankheitsverlauf findet nach ihrer Einschätzung bei den bereits zugelassenen DiGA keine ausreichende Berücksichtigung.

Viele Apps von Männern programmiert

Beispiel Tinnitus-App: Mehr Männer seien von Tinnitus betroffen, aber Frauen erlebten die Beschwerden intensiver. Da müsse man fragen: „Wer nutzt die App, wem hilft die App, und brauchen wir am Ende eine männer- und eine frauenspezifische Version?“ Solche Differenzierungen gebe es aber nicht. Das muss sich nach Einschätzung der ehemaligen nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin ändern.

„Eine gleichgemachte App wird am Ende weder den Männern noch den Frauen helfen und nur Geld kosten.“ In der medizinischen Forschung gebe es mittlerweile Vorgaben, dass die Probandinnen und Probanden geschlechtergerecht aufgeteilt werden und geschlechterspezifische Aspekte eine Rolle spielen müssen, sagte Brigitte Strahwald von der Pettenkofer School of Public Health an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei den historischen Daten sehe das anders aus. „Das ist aber die Grundlage, mit der die meisten KI-Anwendungen laufen“, skizzierte sie das Problem. „Wir greifen zurück auf Datenbestände, die verzerrt sind.“ Die künstliche Intelligenz (KI) sei ein Hype-Thema, an das große Erwartungen gestellt werden.

Dabei fehle oft der kritische Blick auf Risiken, Nebenwirkungen und Grenzen. Dazu gehört für sie unter anderem der Gender Bias. Zwar boome die Forschung rund um die KI. Das gelte aber nicht für den Gender Bias. „Bei Apps wäre es klug gewesen, ein richtig großes und begleitendes Evaluationsprogramm auszurollen“, sagte Strahwald. Es könnte – immer unter Einbeziehung des Gender-Bias – verschiedene Aspekte erfassen: Wie erfolgt die Kommunikation, wie ist die Nutzung, gibt es unterschiedliche Nutzung von digitalen Oberflächen, was wirkt und was nicht, was sind die Endpunkte, was macht den Erfolg einer App aus? „Was mich noch mehr umtreibt, sind Anwendungen der KI in existenziellen Bereichen“, betonte die Anästhesistin und Intensivmedizinerin.

In der Intensivmedizin würden KI-Systeme schon genutzt, etwa bei der Prognose für Patientinnen und Patienten, bestimmte Eingriffe zu überleben. Auch diese KI beruhe auf historischen und damit verzerrten Daten. „Es geht um existenzielle Fragen, da müssen Untersuchungen und Programme gestartet werden, um diesem Problem auf den Grund zu gehen“, forderte Strahwald. (iss)

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