Anpassung der Verordnung
Berufskrankheiten: Bundesrat gibt Passivrauchern und Lastenschleppern eine Chance
Koxarthrose durch Lastenhandhabung mit einer kumulativen Dosis von mindestens 9500 Tonnen während des Arbeitslebens getragener Lasten und Lungenkrebs durch Passivrauchen gelten nun als Berufskrankheiten.
Veröffentlicht:Berlin. Der Bundesrat hat auf seiner Sitzung am Freitag die Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung gebilligt. In deren Anlage 1 werden die Nummern 2116 und 4116 als neue Berufskrankheiten eingefügt. Die Nummer 2116 steht künftig für „Koxarthrose durch Lastenhandhabung mit einer kumulativen Dosis von mindestens 9500 Tonnen während des Arbeitslebens gehandhabter Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg, die mindestens zehnmal pro Tag gehandhabt wurden“.
BK-Nummer 4116 steht für „Lungenkrebs nach langjähriger und intensiver Passivrauchexposition am Arbeitsplatz bei Versicherten, die selbst nie oder maximal bis zu 400 Zigarettenäquivalente aktiv geraucht haben“.
In den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten der beiden neuen BK-Nummern 2116 und 4116 rechnet die Bundesregierung nach der Drucksache, die dem Bundesratsbeschluss zugrunde liegt, mit rund 3100 respektive 90 Verdachtsanzeigen – für den anschließenden Fünf-Jahres-Zeitraum dann mit 2000 respektive 50 Verdachtsanzeigen.
Die Berechnungen erfolgten „auf Basis statistischer Daten und wissenschaftlicher Angaben über das allgemeine Auftreten der Erkrankungen, statistischer Daten über potenziell betroffene Arbeitsplätze, Annahmen über den Anteil hinreichend exponierter Personen, ergänzender Plausibilitätsannahmen sowie unter Berücksichtigung des künftig zu erwartenden Anzeigeverhaltens.“
Anerkennungsvoraussetzungen im Überblick
Die Drucksache listet auch die Anerkennungsvoraussetzungen für die beiden neuen BK auf:
Koxarthrose: Bei der Koxarthrose im Sinne der BK-Nr. 2116 müssen chronische Hüftgelenksbeschwerden in Form von Schmerzen in Ruhe und nachts, an-dauernde Morgensteifigkeit länger als 30 und kürzer als 60 Minuten und/oder eine schmerzhafte Innenrotation vorliegen. Darüber hinaus ist ein röntgenologischer Nachweis von Femoralen und/oder acetabulären Osteophyten, entsprechend Grad 2 nach Kellgren und Lawrence oder Gelenkspaltverschmälerung (superior, axial und/oder medial) entsprechend Grad 3 nach Kellgren und Lawrence sowie mindestens eine Funktionsstörung vorliegen. Dafür infrage kommen Einschränkungen der Hüftgelenksbeweglichkeit, insbesondere der Innenrotation, aber auch der Außenrotation, der Abduktion, der Adduktion sowie der Flexion oder der Extension, ein hinkendes Gangbild, eine reduzierte Gehstrecke, Krepitation bei der Gelenkbewegung, Kapselschwellung oder Hüftgelenkserguss.
Die Diagnose erfolgt entsprechend der Leitlinie Koxarthrose der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie anhand der Anamnese sowie des klinischen und radiologischen Befunds.
Lungenkrebs nach Passivrauchen: Passivrauch im Sinne der BK-Nr. 4116 ist der Nebenstromrauch, der von Zigaretten und anderen Tabakprodukten (Zigarren, Zigarillos und Pfeifen) zwischen den Zügen des Aktivrauchers freigesetzt wird. Darüber hinaus besteht der Passivrauch aus dem Rauch, den der Aktivraucher ausatmet. „In einer Reihe von Studien wurden sowohl in experimentell verrauchten Räumen als auch in verschiedenengastronomischen Betrieben (Restaurants, Bars, Diskotheken, Clubs etc.) sowie an anderen Arbeitsplätzen mit Passivrauchbelastung die Schadstoffkonzentration in der Raumluft sowie die Schadstoffaufnahme beim Menschen gemessen. Ferner liegen Studien vor, die eine deutlich erhöhte Konzentration der entsprechenden Schadstoffmetabolite dieser Gefahrstoffe im Harn der Betroffenen in Abhängigkeit von Dauer und Intensität der Passivrauchexposition nachwiesen“, heißt es in der Drucksache. Durch Cotinin-Bestimmungen sei jeweils gesichert gewesen, dass diese Personen selbst nicht aktiv rauchten.
Die Erhöhung des Lungenkrebsrisikos von Nichtrauchern durch jahrzehntelange berufliche Exposition gegenüber Passivrauch sei durch epidemiologische Erkenntnisse eindeutig belegt. Zwischen der Dauer und/oder Intensität der beruflichen Passivrauchexposition und dem Lungenkrebsrisiko habe sich in einer Reihe von Studien ein signifikanter Zusammenhang mit einem um etwa um den Faktor Zwei erhöhten relativen Risiko für die Verursachung von Lungenkrebs bei nichtrauchenden Personen mit einer hohen beruflichen Passivrauchexposition gefunden.
Keine Besonderheiten beim Passivrauch-Krebs
Das Krankheitsbild des Lungenkrebses durch Passivrauchen weise klinisch und diagnostisch keine Unterscheidungsmerkmale gegenüber einem Lungenkrebs auf, der auf andere Ursachen zurückgehe. Die Diagnosesicherung erfolge neben bildgebenden Verfahren in der Regel im Rahmen einer Bronchoskopie und einer histologischen Untersuchung des gewonnenen Lungengewebes.
Als langjährige berufliche Passivrauchexposition gelte eine Expositionsdauer von 40 Jahren. Als intensiv werde eine berufliche Passivrauchexposition angesehen, wenn eine Nikotinkonzentration in der Raumluft von mindestens 50 mg/m3 ermittelt wird. Da zwischen der Dauer der beruflichen Passivrauchexposition und der Expositionshöhe nach epidemiologischen Erkenntnissen ein multiplikativer Zusammenhang bestehe, könne die berufliche Mindestexpositionsdauer von 40 Jahren unterschritten werden, wenn die berufliche Passivrauchexposition entsprechend höher ist und das Produkt zwischen Expositionsdauer und berechneter Nikotinkonzentration 2000 (mg/m3 x Jahre) erreicht.
„Diese Berufskrankheit gilt nur für Versicherte, die entweder selbst nie oder maximal bis zu 400 Zigarettenäquivalente bis zur Diagnose des Lungenkrebses aktiv geraucht haben. Ein Zigarettenäquivalent entspricht einer Zigarette mit einem Gramm Tabak, einem halben Zigarillo mit zwei Gramm Tabak, einer viertel Zigarre mit vier Gramm Tabak oder dem Rauchen von einem Gramm Pfeifentabak“, werden die Angaben noch weiter konkretisiert.