Darmkrebs nicht erkannt - Ärztin muss haften

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GÖTTINGEN (dpa). Ein Behandlungsfehler kommt eine Ärztin aus dem Kreis Göttingen teuer zu stehen. Weil sie einen tödlichen Darmkrebs mehrere Monate zu spät erkannte, verurteilte das Landgericht Göttingen sie zu 70 000 Euro Schmerzensgeld und monatlich 650 Euro Unterhalt an den Witwer der gestorbenen Patientin. Das Gericht geht davon aus, dass die etwa 35 Jahre alte Patientin bei rechtzeitiger korrekter Diagnose hätte gerettet werden können.

Einem Zeitungsbericht zufolge war die Patientin von Jugend an von der Hausärztin betreut worden und hatte deshalb zu ihr tiefes Vertrauen. Als sie 2007 wegen Unterleibsschmerzen erschien, habe die Ärztin Psychotherapie verschrieben. Einen Monat danach habe sie wegen der gleichen Symptome Medikamente gegen Geschwüre und Entzündungen im Magen-Darm-Bereich und gegen Übelkeit verordnet. Später habe die Ärztin dann ohne weitere Untersuchungen Sauerkrautsaft gegen Verstopfung, ein krampflösendes Mittel und erneut Psychotherapie verschrieben.

Erst rund fünf Monate nach dem ersten Besuch der Patientin in der Praxis war der Darmtumor erkannt worden. Die nun einsetzende Krebsbehandlung kam zu spät, die Patientin starb im Februar 2009. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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Dr. Stefan Krüger 22.06.201019:50 Uhr

Problem erblicher Darmkrebs

Dieser traurige Fall weist auf ein generelles Problem von Krebserkrankungen in ungewöhnlich jungem Alter hin. Auf der einen Seite werden wahrscheinlich die meisten Kollegen bei einer mehr oder weniger unspezifischen abdominellen Symptomatik bei einer 35-jährigen Patientin primär Darmkrebs eher nicht in ihre differentialdiagnostischen Überlegungen einbeziehen, weil Darmkrebs in diesem Alter eben ungewöhnlich ist. Auf der anderen Seite ist aber gerade dieses junge Erkrankungsalter hinweisend auf eine erbliche Form des Darmkrebses, z. B. das HNPCC- oder Lynch-Syndrom. Für die meisten erblichen Krebssyndrome, z. B. auch den Familiären Brust- und Eierstockkrebs ist eine Manifestation in ungewöhnlich jungem Alter, oft mehr als 20 Jahre vor dem „üblichen“ Erkrankungsalter typisch. Der andere wichtige Hinweis auf eine erbliche Krebsform ist selbstverständlich das gehäufte Auftreten innerhalb einer Familie. Auch ich würde bei einer 35-jährigen Patientin mit mehr oder weniger unspezifischen abdominellen Symptomen natürlich nicht in erster Linie an Darmkrebs denken, bei einer entsprechend positiven Familienanamnese allerdings schon.
Das Dilemma besteht m. E. auch darin, dass das Wissen um erbliche Krebsformen relativ neu ist. Die molekulargenetischen Grundlagen der wichtigsten Syndrome wurden vor gerade einmal ca. 15 Jahren aufgeklärt. Das ist sicher einer der Gründe, warum diese Erkrankungen noch nicht „in Fleisch und Blut übergegangen“ sind. Ein anderer Grund ist wahrscheinlich auch, dass erbliche Krebserkrankungen als „selten vorkommend“ gelten. Das ist relativ. Ihr Anteil wird auf ca. 5 % geschätzt, immerhin jeder zwanzigste Erkrankungsfall. Für die wichtigsten Tumorprädispositionssyndrome gibt es in zwischen erprobte und wirksame spezifische Vorsorgeprogramme.

Dr. med. Stefan Krüger
FA für Humangenetik, Dresden

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