Praxis-Aufkauf

Der Gesetzgeber zieht die Zügel an

Die Regierungskoalition lässt keinen Zweifel daran, am Praxis-Aufkauf in überversorgten Gebieten festhalten zu wollen. Die Praxisabgabe wird künftig langfristiger und sorgfältiger vorzubereiten sein.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:

BERLIN. Kein anderes gesundheitspolitisches Vorhaben hat dieses Jahr für derart viel Aufruhr gesorgt wie die Verschärfung der im SGB V verankerten Option, in gesperrten Planungsbezirken frei werdende Arztsitze durch die KV aufkaufen zu lassen.

Das lag nicht zuletzt daran, dass das Thema gleich zweimal aufpoppte: Erst meldeten sich im Sommer die Sachverständigen zu Wort und forderten die gesetzliche Verpflichtung, ab einem Versorgungsgrad von 200 Prozent frei werdende Arztsitze dicht zu machen.

Bundesweit 1739 Praxen bedroht?

Dafür kämen laut Gutachten republikweit 1739 Praxen in Frage. Betroffen wären insbesondere Fachärzte, allen voran Schwerpunkt-Internisten (994), Chirurgen (171) und Anästhesisten (167). Bei Hausarztpraxen gibt es nirgendwo 200 Prozent Überversorgung.

Dann machte im Herbst die Bundesregierung ihre Ankündigung wahr und ließ - noch auf Referentenebene - die Ersetzung der bisherigen "Kann"-Regel in Paragraf 103 Absatz 3a SGB V durch eine "Soll"-Regel in den Entwurf ihres Versorgungsstärkungs-Gesetzes schreiben.

Konsequenz: Nachbesetzungsanträge müssten in gesperrten Bezirken künftig regelhaft abgelehnt werden, wenn, so steht es im Gesetz, "Versorgungsgründe" eine Nachbesetzung nicht doch erforderlich machen.

Bei Überversorgung von 110 Prozent gerieten dann laut Gesundheitsweisen 8000 Sitze grundversorgender Fachärzte ins Visir, 6000 Sitze spezialisierter Fachärzte und 2000 Hausarztsitze.

Auch in der Anfang Dezember vorgelegten Gesetzesfassung des Kabinetts hat sich an dem Vorhaben nichts geändert.

Das zeigt, wie sehr die Gesundheitsexperten der Regierungsfraktionen einer nachfrageorientierten Niederlassungssteuerung anhängen und wie wenig sie sich von dem Sturm der Entrüstung darauf haben bis dato beeindrucken lassen.

Nacheinander hagelte es aus den KVen Hiobsbotschaften, wie viele Arztsitze auf der Kippe stünden - 450 in Mecklenburg Vorpommern, 665 in Thüringen, 938 in Hamburg, 1000 in Rheinland-Pfalz, 2877 in Baden-Württemberg, 417 in Brandenburg.

Die KBV schließlich kam auf über 25.000 Praxen niedergelassener Ärzte und Psychotherapeuten, die zur Disposition stünden. Von drohender Enteignung war vielfach die Rede und einem abschreckenden Signal an den ärztlichen Nachwuchs.

Auch Ausnahmen vom Aufkauf-Soll

Bei nüchterner Betrachtung relativiert sich das Szenario. Denn der Gesetzentwurf enthält neben alten auch neue Ausnahmen vom Aufkauf-Soll:

So gilt auch weiterhin, dass der Antrag auf ein Nachbesetzungsverfahren prinzipiell nicht gegen die Stimmen der Ärztevertreter im Zulassungsausschuss abgelehnt werden kann.

Nach wie vor ist einem solchen Antrag stattzugeben, wenn es sich bei dem Bewerber um Ehepartner, Lebenspartner oder um ein Kind des bisherigen Vertragsarztes handelt.

Auch einem angestellten Kollegen oder einem BAG-Partner des seinen Abschied nehmenden Kassenarztes kann die Praxisübernahme nicht versagt werden.

Allerdings muss der dann, und das ist neu, mindestens seit drei Jahren mit an Bord sein.

Zudem soll künftig ein Nachbesetzungsverfahren auch dann erfolgen können, wenn ein Bewerber bereits fünf Jahre in einem unterversorgten Gebiet als Kassenarzt tätig war.

Eine weitere, erst kürzlich in den Gesetzentwurf aufgenommene Ausnahme: Wenn ein Nachfolger willens ist, die Praxis in ein anderes Gebiet desselben Planungsbereichs zu verlegen, für das die KV einen Versorgungsbedarf geltend macht.

Hinzu kommen die besagten "Versorgungsgründe", die der Ablehnung eines Nachbesetzungsantrages entgegenstehen können.

Etwa, so der Medizinrechtler Dr. Ingo Pflugmacher, wenn ortsansässige Kollegen gleicher Profession erklären, die Patienten desjenigen, der in den Ruhestand geht, nicht übernehmen zu können.

Generell empfiehlt Pflugmacher Ärzten, künftig rechtzeitig vor Praxisaufgabe den Bedarfsplan einzusehen und den tatsächlichen Versorgungsgrad bei der eigenen Fachgruppe zu ermitteln.

Zudem lässt sich mit einer Voranfrage beim Zulassungsausschuss Klarheit über dessen genaue Absichten verschaffen.

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