Vernetztes Ärztenetz
Der Patient entscheidet, wem er die Daten freigibt
IT-Vernetzung in Ärztekooperationen ist möglich. Doch noch immer müssen viele Lösungen in den Netzen selbst gestrickt werden, wie ein Beispiel aus Nürnberg zeigt.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Der elektronische Zusammenschluss von Hausarzt- und Facharztpraxen zu einem Versorgungsverbund stößt vielerorts immer noch an technische Grenzen. Im Praxisnetz Nürnberg Süd (PNS) haben bislang etwa 50 der mehr als 210 Ärzte die Herausforderung gemeistert und sich trotz unterschiedlicher Praxisverwaltungssysteme elektronisch vernetzt.
"Wir haben unser Vernetzungsprojekt fünf Jahre lang vorbereitet und setzen es jetzt seit zwei Jahren um", berichtete Dr. Michael Bangemann, Facharzt für Allgemeinmedizin und PNS-Vorsitzender beim 2. Bayerischen Tag der Telemedizin in München.
In der Vorbereitung mussten viele technische Probleme überwunden werden. "Das Meiste musste eigens entwickelt werden", erläuterte Bangemann. Die Zahl der teilnehmenden Praxen sei inzwischen steigend.
Die Vernetzung besteht zum einen aus einer eigens entwickelten Software, dem PN-Client, die auf den Praxiscomputer aufgespielt wird und die Praxis an das serverbasierte Praxisnetzsystem anschließt. Der PN-Client enthält unter anderem ein Verschlüsselungssystem und eine Zertifikatsverwaltung, was eine gesicherte Datenübertragung auf den Netzserver gewährleistet.
Darüber hinaus sind die Praxen mit einem Konnektor einschließlich KV-Safenet ausgestattet, der sichere Verbindungen außerhalb des Praxisnetzes sowie pseudonymisierte Auswertungen auf einer eigenen Datenbank ermöglicht.
"Wir haben Hausarzt- und Facharztpraxen der unterschiedlichsten Fachrichtungen dabei und sind gerade im Begriff, erste Kliniken anzuschließen", berichtete Bangemann. Der Datenschutz und die Datensicherheit wurde zusammen mit dem Fraunhofer Institut erarbeitet und inzwischen auch durch die DEKRA nach ISO/IEC 27001:2005 zertifiziert.
Durch die Teilnahme an der elektronischen Vernetzung ändere sich für Praxen nichts. "Alle arbeiten weiter wie bisher", erklärte Bangemann. In bestimmten Abständen senden die Praxen ihre Daten über den Client an den Netz-Server und bekommen dann ihre Auswertungen.
Ein "Nebenprodukt" sei eine eigene gemeinsame elektronische Patientenkartei, für die sich die Patienten extra einschreiben, berichtete Bangemann.
"Den Service bieten wir nur den Kassen an, die mit uns einen Vertrag abschließen." Der Patient bekommt dafür ein Mitgliedskärtchen mit dem Kassenlogo, den persönlichen Daten des Versicherten und eine vierstellige PIN, mit der er in einer angeschlossenen Praxis seine Daten freigeben kann.
Elektronische Anamnese
"Der Patient behält die Zugriffsrechte zu seinen Daten und entscheidet selbst, wem er diese Daten freigibt", betonte Bangemann. Ein Zugriff des Patienten von zu Hause sei nicht möglich. "Das geht nur über lizenzierte Terminals, sodass wir immer sehen können, wer wann von welchem Terminal auf welche Daten Zugriff genommen hat."
In der elektronischen Patientenkartei werden Behandlungen aus den Praxen chronologisch dokumentiert. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, Daten zu selektieren - nach verordneten Medikamenten, Klinikaufenthalten und Krankschreibungen, sowie Diagnosen.
Leistungsdaten, also das, was abgerechnet wird, bleiben im System versteckt. "Auch als Vorsitzender des Praxisnetzes komme ich nicht an diese Daten", betonte Bangemann.
Im System des Praxisnetzes seien inzwischen mehr als 240.000 Datensätze mit Diagnosen, Laborwerten und Verordnungen. Auf dieser Grundlage sei es möglich, dem Arzt beispielsweise mitzuteilen, welche Untersuchungen vergessen wurden oder ob eine Niereninsuffizienz möglicherweise nicht beachtet wurde.
"Unser Datenschutzkonzept ist so, dass der Arzt erfährt, bei welchem Patienten was nachgesehen werden muss", erläuterte Bangemann. Dabei handele es sich natürlich nur um eine Empfehlung, die therapeutische Entscheidung treffe immer der behandelnde Arzt.
Ein Projekt, das auf der Grundlage der Datenbank des Praxisnetzes entwickelt wurde, ist die elektronische Anamnese mit standardisierten Fragebögen zur Steuerung der Arzneimittelversorgung. Zunächst wurden Patienten mit Asthma und COPD befragt, wie es ihnen geht. "Immer wenn es ihnen schlechter ging, haben wir ein stärkeres Medikament verordnet", so Bangemann. Das Ergebnis: Noch nach fünf Quartalen lagen die Arzneimitteleinsparungen bei 17 Prozent.
"Wir dachten zuerst, dass es teurer wird, aber die Behandlung wurde effektiver, und Begleitmedikation, die sonst noch genommen wurde, ging zurück. Der Patient hat also selber eingespart, wir mussten nichts verweigern", erläuterte Bangemann.
Jüngstes Projekt ist ein dreistufiges Medikationskonzept mit einem Interaktions-Check und einer Gewichtung der Medikation. Dabei zeigte sich, dass die Polypharmazierate bei den Patienten im Praxisnetz unter zwei Prozent liegt, bei etwa sechs Prozent im Landesdurchschnitt. - Fortschritte im Kleinen Dank EDV-Einsatz.