Deutschland - Mauerblümchen im Medizintourismus
Deutsche Kliniken tun sich noch schwer, betuchte Patienten aus dem Ausland anzuwerben. Dabei gibt es eine Menge Potenzial für zusätzliche Honorarquellen.
Veröffentlicht:FRANKFURT/MAIN. Hohe medizinische Qualität, hoher Spezialisierungsgrad und international konkurrenzfähige Preise für medizinische Eingriffe - die Rahmenbedingungen sollten eigentlich stimmen und reihenweise Patienten aus dem Ausland zu einer Behandlung nach Deutschland kommen.
Doch mit im vergangenen Jahr gerade einmal 70.000 Patienten aus dem Ausland muss die Bundesrepublik noch kräftig die Werbetrommel rühren, um Deutschland vom Mauerblümchen-Dasein in der Welt des internationalen Medizintourismus zu erlösen.
Genau das tut sie aber nicht, zumindest nicht von offizieller und damit von Regierungsseite.
Darauf weist die aktuelle, interne Studie "Medical Tourism" des global ausgericheten Think Tanks Diplomatic Council (DC) hin, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt.
Mangelnde internationale Ausrichtung ist ein Manko
Auch wenn vor allem für Araber und Russen qualifiziertes Personal und medizinisches Hightech-Equipment Stimulatoren für eine Behandlung im Ausland sind, so mangelt es den Krankenhäusern in Deutschland pauschal gesagt noch an einer Strategie zur internationalen Patientenakquise.
"Die hiesigen Kliniken sind noch zu wenig auf internationale Patienten eingestellt", attestiert Dr. Bettina Horster, die frisch gewählte Vorsitzende des International Health Forum im DC.
Horster wirft den Kliniken vor, sich nicht auf das hohe Anspruchsniveau betuchter Klientel einzulassen: "Die Wartezeiten sind häufig zu lang und der Komfort ist zu gering, um anspruchsvolle Patienten anzulocken."
Und weiter: "Vielen Kliniken mangelt es zudem schlichtweg an einer Ärzteschaft mit ausreichenden englischen Sprachkenntnissen. Auch den Bedürfnissen unterschiedlicher Religionen wird oftmals noch zu wenig Rechnung getragen."
Patienten kommen zum Großteil aus Nachbarländern
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Medizintouristen im vergangenen Jahr aus den Nachbarländern Niederlande (elf Prozent), Frankreich (zehn Prozent), Österreich und Polen (je acht Prozent) sowie Belgien (sechs Prozent) kamen.
Hier punktet Deutschland laut der Studie vor allem mit seiner Eigenschaft als Mitglied der Europäischen Union, sodass eine Einreise unproblematisch und schnell vonstatten geht.
Zudem seien die Wartezeiten im europäischen Vergleich in Deutschland geringer. Bei ihren Eingriffen fokussierten die Medizintouristen vor allem kardiologische, onkologische und orthopädische Behandlungen.
Noch hat Deutschland nach Horsters Ansicht nicht den Anschluss verloren, wenn es darum geht, wohlhabende Patienten mit samt ihrer Entourage für eine medizinische Behandlung nach Deutschland zu locken und sie anderen Ländern abspenstig zu machen.
Ein Beispiel ist Jordanien, das im vergangenen Jahr, so der Bericht, 250.000 Medizin-Touristen verzeichnete, oder Singapur mit 600.000 Wahlpatienten.
Als Schwachpunkt sehen die Studienautoren vor allem die mangelnde internationale Transparenz bei der Zertifizierung an. Eine Klinik-Zertifizierung nach KTQ bedeute international wenig.
Einheitliche Zertifizierung fehlt
Ein gängiges Qualitätskriterium sei viel eher ein Zertifikat der unabhängigen amerikanischen Joint Commission International (JCI).
Laut Studie sind in ganz Deutschland nur wenige Einrichtungen freiwillig JCI-zertifiziert: die Unikliniken Aachen, Charité, Dresden, Eppendorf, Freiburg, Heidelberg und Kiel, die DRK-Kliniken in Berlin, das Klinikum Chemnitz, das Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig sowie das Städtische Klinikum München.
Das Fehlen einer einheitlichen, internationalen Zertifizierungsstelle für Kliniken macht auch DC-Generalsekretärin Hang Nguyen im Vorwort zur Untersuchung für die weit variierende Bandbreite der Qualität medizinischer Eingriffe weltweit verantwortlich.
Für die nächsten Jahre rechnet der DC-Report trotz der beanstandeten Schwächen im Hinblick auf sehr wohlhabende Patienten aus Russland und dem Orient für Deutschland mit einer ansteigenden Welle von Medizintouristen.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Eine Sache für Spezialisten