Arbeiten 4.0

Digitalisierung ahoi, Gesundheit adé?

Die Digitalisierung soll Unternehmen fit für die Zukunft machen. Bisher merken die meisten Arbeitnehmer aber nur, dass ihnen der digitale Sturm und Drang auf die Gesundheit schlägt, monieren Betriebsräte in einer Befragung.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:

DÜSSELDORF. Arbeiten 4.0 scheint für viele Arbeitnehmer eher ein Schreckgespenst, denn eine willkommene Herausforderung zu sein. Das legt zumindest eine aktuelle Betriebsrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung nahe.

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Demnach sind viele Unternehmen in Deutschland für die Herausforderungen der Digitalisierung und des demografischen Wandels schlecht gerüstet. In jeweils rund 70 Prozent der größeren Betriebe werden großer Arbeitsdruck, damit verbundene psychische Belastungen und Defizite bei der Weiterqualifizierung als Probleme wahrgenommen, die Gesundheit und Zukunftsperspektiven der Beschäftigten gefährden können, so die WSI-Analyse, für die nach eigenen Angaben im Jahr 2016 rund 2000 Betriebsräte befragt worden sind.

Steigende Arbeitsbelastung frustriert

Die Defizite scheinen sich dabei kumulativ auszuwirken. Denn die Befunde zeigen weiterhin, dass sich die Arbeitsbedingungen generell in den vergangenen fünf Jahren vor allem in Richtung steigender Arbeitsintensität verändert haben, wie 78 Prozent der Befragten äußern. "Die Arbeitszufriedenheit ist dagegen – nach Ansicht jedes zweiten Betriebsrats (56 Prozent) – gesunken", heißt es in der Studie. Die Arbeitsintensivierung treffe besonders für den Dienstleistungsbereich zu (Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 87 Prozent, Erziehung/Gesundheit/Schule 84 Prozent, Handel 80 Prozent).

In den Betrieben hapert es aus Betriebsratssicht vor allem an einer ausreichenden Personalstärke, bei flexiblen Arbeitszeitmodellen, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen, sowie im Gesundheitsschutz. 76 Prozent der Betriebe führten demnach die im Arbeitsschutzgesetz verankerte, ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung nicht wie vorgesehen durch. Dabei böten gerade diese "die Möglichkeit, Arbeitsbelastungen weitgehend zu reduzieren. Gefährdungsbeurteilungen sind im Arbeits- und Gesundheitsschutz das Instrument oder Verfahren, über das sich auch komplexe psychische Arbeitsbedingungen erheben lassen" wie es in der WSI-Studie heißt.

Ein Manko mit fatalen Folgen? Studienautorin Elke Ahlers sieht in der ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung "eine wichtige Voraussetzung um die Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt anzugehen." Denn: Um einen Betrieb fit für die "Arbeit 4.0" zu machen, müssen, so Ahlers' Plädoyer, die Arbeitsbedingungen stimmen. Schließlich seien Motivation und Eigenverantwortung immer wichtiger, wenn die Arbeitsaufgaben komplexer werden. Und gesunde Beschäftigte seien doppelt wichtig, wenn das Fachkräfteangebot schrumpfe. Doch große Teile der deutschen Wirtschaft sind laut WSI in dieser Hinsicht noch nicht auf der Höhe der Zeit.

Wie die Studie weiter hinweist, geht die Arbeitsintensivierung einher mit Gefährdungen für die Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern. "Der Zusammenhang zwischen einer hohen Arbeitsintensität und einem schlechteren Gesundheitszustand konnte in verschiedener Hinsicht bereits empirisch und theoretisch belegt werden. Es zeigen sich Zusammenhänge zu einer reduzierten Schlafqualität und einer eingeschränkten Regenerationsfähigkeit", heißt es.

Je höher die gefühlte Arbeitsbelastung durch lange Arbeitszeiten und hohen Arbeitsdruck, desto eher hätten Beschäftigte laut DGB-Index den Eindruck, die Tätigkeit nicht bis zum Rentenalter ausüben zu können. "Diese negativen gesundheitlichen und sozialen Konsequenzen zu begrenzen, sollte als zentrale Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften angesehen werden", mahnt Ahlers.

Divergierende Problemdeutungen

Daher wäre es laut WSI auch notwendig, dass die Unternehmen selbst die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Arbeitswelt wie ausreichend Personal, humane Arbeitsbedingungen sowie eine gute betriebliche Gesundheitsprävention, bereitstellten. Hart ins Gericht geht das WSI mit den Forderungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) nach einer Arbeitszeitordnung 4.0 für flexiblere Arbeitszeitregelungen. "Mit den Befunden der WSI-Betriebsrätebefragung kann gezeigt werden, dass die politischen Forderungen an die Beschäftigten, sich dem digitalen Wandel in Form von mehr Flexibilität anzupassen, nicht mit den Problemdeutungen der Betriebsräte übereinstimmen. Deutlich wird dabei, dass sich im Zuge der Digitalisierung dringliche betriebliche Gestaltungsaufgaben stellen", so Ahlers.

Die Crux beim Gestalten der Arbeit 4.0 ist, dass beide Seiten – Unternehmer wie Beschäftigte – die Notwendigkeit einer digitalisierten Arbeitswelt anerkennen. Laut WSI-Befragung stehen die Beschäftigten der Digitalisierung durchaus offen gegenüber: Zwei Fünftel der befragten Arbeitnehmervertreter verbinden demnach die neuen Technologien mit positiven Auswirkungen. 38 Prozent sind der Meinung, dass Beschäftigte mehr Möglichkeiten haben, eigenverantwortlich zu arbeiten. Die Chancen, die der digitale Wandel im Hinblick auf Flexibilität und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie biete, blieben allerdings zum Teil ungenutzt.

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