Leitartikel zur Sprechstunde via Facebook
Eine Gratwanderung, die kaum funktioniert
Selbst für viele Ärzte ist Facebook längst Teil des Alltags. Doch dort werden sie auch von Patienten konsultiert. Und das kann heikel werden, wie der Fall einer 15-jährigen Schülerin zeigt. Denn damit wird etwas in die virtuelle Welt verlegt, was dort schlecht gedeiht.
Veröffentlicht:Längst tauschen sich Ärzte und Ärztinnen über Facebook, Twitter, Chats und Blogs aus. Nicht nur über den letzten Urlaub, sondern auch über Fachliches, über Patienten und die leidige Berufspolitik. Fast hundert Prozent aller Ärzte nutzen den Computer, davon kann man ausgehen.
Dr. Johannes Schenkel, Referent für Telemedizin bei der Bundesärztekammer sagt zwar, es gebe keine offiziellen Statistiken, aber angeblich tauschten sich rund die Hälfte aller Ärzte bereits in sozialen Medien aus, auch mit Patienten. Damit wird etwas in die virtuelle Welt verlegt, was dort schlecht gedeiht. Die Rede ist von der Begegnung mit Patienten.
Das Internet ist groß im Informieren - doch das ist tatsächlich wenig. Denn Information kann nicht alles mitteilen, was in einer Begegnung auch an Ungesagtem mitgeteilt werden muss: Vertrauensvorschuss, zum Beispiel, oder eine Ratlosigkeit, die Raum gibt für neue Lösungen.
Die Online-Kommunikationsmedien indes reduzieren Kommunikation auf die bruta facta. So wie das Wort "Information" im Web gern auf "Info" schrumpft, so sehr schrumpft das Gewicht der Begegnung auf ihren dürren Gehalt an Informationen, wenn eine so genannte Online-Verbindung aufgenommen wurde.
Längst wissen Kommunikationsforscher: Patienten sind Schnüffeltiere. Sie suchen vor allem ein Gegenüber. Auch Informationen, gewiss, aber vor allem die physische Anwesenheit vertrauenswürdiger und kompetenter Menschen, die nicht sofort die Flucht in die Fakten ergreifen, wenn sie als Patient mal eine Frage diesseits des Quicktests haben, wenn es also um Begegnung geht.
Die vertrauenswürdige Präsenz der Ärzte ist der Goldstandard. Licht und Duft im Raum des Patientengesprächs sind wirksamer als die Informationen, die in diesem Raum mitgeteilt werden, so die Kommunikationsforscher, die Blumen auf dem Tisch oft wirksamer als das Referat der Blutwerte. Und die wache mentale, physische und emotionale Anwesenheit eines Arztes ist wirksamer als das alles zusammen.
Häme wegen einer Geschlechtskrankheit
Nun werden die Patienten nicht anders, nur weil sie sich im Internet bei ihrem Arzt melden. Die jüngste Broschüre der Bundesärztekammer "Ärzte in sozialen Medien" berichtet von der Anfrage einer 15-jährigen Schülerin, die sich per Facebook an einen Arzt wendet.
"Ein 15-jähriges Mädchen postet auf der Seite eine Frage zu Geschlechtskrankheiten, die nahe legt, dass sie selbst darunter leidet - ihr Klarname und die Frage sind auf der Pinnwand sichtbar. Das Mädchen wird daraufhin auf ihrer Facebook-Seite von hämischen Kommentaren überflutet. Obwohl die Ärzte auf ihrer Seite davon abraten, persönliche Probleme zu schildern, fragen sie sich, inwieweit sie für die Selbstoffenbarung des Mädchens Mitverantwortung tragen?", heißt es in der Broschüre.
Ärzte im Netz sollten auf die Gefahr der Selbstoffenbarung aufmerksam machen und auf Facebook die Privacy-Einstellung nutzen, empfiehlt die Broschüre. Allerdings: Facebook erlaubt es, Identitäten zu fälschen, und so können User anonym gefälschte Informationen über Dritte verbreiten.
Mit einem sehr persönlichen Anliegen hat sich das Mädchen an ihren Doktor gewandt - aber dazu Maus und Bildschirm zur Hilfe genommen. Und sie hat dabei ihren Namen mitveröffentlicht. OK - sie wusste es offenbar nicht besser und verhielt sich leichtsinnig.
Aber haben Ärzte ihr nicht mehr zu bieten, als die Warnung: "Achtung, liebe Userin, dies ist die Facebook-Welt. Tausende lesen mit."? Natürlich - niemand sollte Persönliches auf den großen Informationsschalter des Internets legen, dass alle Welt daran herumnesteln kann.
Arzt und Patient brauchen einen Schutzraum
Die Broschüre der Ärztekammer gibt hier wichtige Informationen. Aber sie sollte niemanden unter den Ärzten dazu verleiten, Begegnungen durch Web-Informationen zu ersetzen.
In der religiösen Welt gibt es die Übung der "Arkandisziplin". Das bedeutet, das Heilige wird der Öffentlichkeit vorenthalten und nur in geschlossenen Zirkeln geübt. Nun ist die Medizin nichts Heiliges, Gott sei Dank. Aber die Begegnung zwischen Arzt und Patient braucht auch einen Schutzraum, so viel ist klar. Und ein Chatroom bietet ihn nicht.
Was nun? Raimund Dehmlow, IT-Experte bei der Ärztekammer Niedersachsen, meint, die Ärzte sollen nicht nur die Datenschutzregeln im Netz respektieren und diesen folgen. Sondern sie sollten die Regeln erweitern, also selber die Trends setzen.
Dazu müsse die ärztliche Berufsethik erweitert werden, meint Dehmlow. Da hat er Recht. Da geht es um Datensparsamkeit oder darum, Spams und Beleidigungen im Netz nicht zu akzeptieren, wie Dehmlow sagt.
Aber das genügt nicht. Um den Wert der Arzt-Patienten-Begegnung auch jungen Patienten zu lehren, müssen Ärzte sie zunächst selbst lernen, üben, fordern, ausbauen und sich jeder Versuchung widersetzen, sie auf die Stufe von Informationen hinabzubeugen, um sie schließlich in Blogs und Chats auszusetzen. Das kostet Zeit und Geld. Aber ist das ein Argument?