Masterplan 2020

Front gegen Pflichtquartal Allgemeinmedizin

Medizinstudierende, Unikliniken, Fakultätentag und Fachgesellschaften wehren sich gegen Pläne, die Allgemeinmedizin verpflichtend im PJ zu installieren. Der Masterplan dürfe sich nicht allein auf den Landarztmangel fokussieren, warnen sie.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Zwei Medizinstudentinnen bei einem Kurs am Institut für Anatomie der Universität Leipzig.

Zwei Medizinstudentinnen bei einem Kurs am Institut für Anatomie der Universität Leipzig.

© Waltraud Grubitzsch / dpa

BERLIN. Vier Verbände haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen ein Pflichtquartal Allgemeinmedizin ausgesprochen. "Alles für alle verpflichtend zu machen, ist der falsche Weg", heißt es in dem Papier der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd), der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), des Verbands der Uniklinika (VUD) und des Medizinischen Fakultätentags (MFT).

Hintergrund der Stellungnahme ist der Masterplan "Medizinstudium 2020", der derzeit von Bund und Ländern erarbeitet wird. Das Vorhaben ziele bislang "sehr einseitig auf die Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium sowie auf vermeintliche Lösungen zur sogenannten Landarztproblematik", kritisiert Professor Heyo Kroemer vom MFT.

Er mahnte einen größeren Fokus an: Auch die Auswahl der Studienplatzbewerber, die praxisnahe Ausrichtung des Studiums und die Verankerung der Wissenschaftlichkeit im Studium müssten auf die Tagesordnung, forderte er.

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Aus Sicht der Vertretung der Medizinstudierenden sollte die sogenannte Kapazitätsverordnung, die für die Berechnung der Studienplätze maßgeblich ist, reformiert werden. Auch rechtssichere Kriterien für Testverfahren jenseits der Abiturnote mahnt die Studierendenvertretung an.

Berufen kann sich die bvmd dabei auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD: Dort heißt es unter Verweis auf den Masterplan, man wolle eine "zielgerichtetere Auswahl der Studienplatzbewerber" ermöglichen. Allerdings enthält dieser Passus auch das Bekenntnis "zur Förderung der Praxisnähe und zur Stärkung der Allgemeinmedizin".

Mit Blick auf die Allgemeinmedizin lehnen die Autoren des Positionspapiers verbindliche Vorgaben ab. Vielmehr steige "mit der Wahlfreiheit das Interesse dafür, einzelne fachliche Schwerpunkte über die Ausbildung hinaus in der Weiterbildung fortzuführen", sagt Professor Rolf-Detlef Treede für die AWMF.

Im Papier heißt es nur, die Ausbildung solle alle Bereich der ärztlichen Tätigkeit umfassen, "auch die ambulante und primärärztliche Versorgung".Engagierter fällt hingegen das Plädoyer der vier Organisationen für einen frühen Kontakt mit der Wissenschaft aus: "Ein wissenschaftliches Grundverständnis ist für die tägliche ärztliche Praxis essenziell", heißt es.

Absage an die Landarztquote

Vorschläge, Medizinstudierende über eine Landarztquote früh an die Allgemeinmedizin zu binden, erteilen die Autoren eine Absage. Ein solches indirektes Instrument helfe nicht gegen Landarztmangel.

Hierfür müssten die Anreize und Rahmenbedingungen vor Ort geändert werden, sagt Professor Michael Albrecht vom VUD. Hingegen hat zuletzt die bayerische Staatsregierung Sympathie für dieses Instrument erkennen lassen.

Professor Ferdinand M. Gerlach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), hat 2016 zum "Schicksalsjahr für die Allgemeinmedizin" erklärt.

"Wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen, können wir einen Durchbruch in der Nachwuchsfrage erreichen", sagte Gerlach im Februar und verband damit die Forderung, die Allgemeinmedizin im Praktischen Jahr (PJ) zu stärken sowie die abschließende Staatsexamens-Prüfung praxisnäher zu gestalten.

Vergrätzt hat die DEGAM im März auf das vom Marburger Bund veröffentlichte "Studi-Barometer" des Marburger Bundes (MB) reagiert.

Der hatte 1756 Studierende befragen lassen: Nur 26 Prozent wünschten sich demnach eine Stärkung des Fachs Allgemeinmedizin im Studium. Die DEGAM warf dem MB daraufhin eine "tendenziöse Darstellung nicht repräsentativer Befragungsergebnisse" vor.

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Kommentare
Dr. Henning Fischer 10.05.201617:45 Uhr

@Dr. Schätzler, im Prinzip haben Sie Recht, aber:


Allgemeinmedizin findet fast nur im Kassenarztbereich statt. Wer sich dafür entscheidet wird nur sehr schwer irgendeine Anstellung in einer Klinik finden. Ob sich eine Anstellung in MVZ ect. wirklich etabliert, bleibt abzuwarten.

Im Moment ist die Allgemeinmedizin eine Einbahnstraße in die Kassenmedizin. Und das bedeutet

- die Kassen bezahlen nur 62% der geleisteten Arbeit (Aussage KVWL)
- Hausbesuche werden mit 22 Euro vergütet, nach Budgetüberschreitung mit 5,50 Euro
- ein Regreßrisiko gibt es immer, die Politik will das so
- falls man die Praxis nicht mehr weiterführen kann, muß sie verschrottet werden, weil es keine Nachfolger gibt.

Ich habe mich vor 30 Jahren niedergelassen und gedacht, da kann eigentlich nichts passieren. Pustekuchen. Die Politik hat uns massakriert.

Unter den heutigen Bedingungen würde ich auch nicht mehr Allgemeinmediziner werden.

Und zwingen kann man GsD niemanden.

weitere Infos: www.dr-henning-fischer.de

Dr. Thomas Georg Schätzler 10.05.201615:07 Uhr

Humanmedizin - kein Wunschkonzert und auch kein "Ponyhof"!

Die Frage ist doch nicht, welche ärztlichen Institutionen, welche Forschungsgemeinschaften, welche Ärzte-Gewerkschaften oder Medizinstudierenden-Vertretungen sich für die medizinisch-ärztliche Aus- und Weiterbildung etwas wünschen können oder wollen?

Sondern es kommt auf prioritäre Zielsetzungen an. Und da sind die Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd), die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), der Verbands der Uniklinika (VUD) und der Medizinischen Fakultätentags (MFT) meilenweit von der Realität haus- und fachärztlicher Allgemeinmedizin entfernt. Auch der Marburger Bund (MB) vertritt nie die vertragsärztliche Allgemeinmedizin, sondern ausschließlich angestellte und beamtete Ärzte.

Wie abgehoben der Diskurs ist, zeigt sich an der Absage an "vermeintliche Lösungen zur sogenannten Landarztproblematik", wie Professor Dr. med. H. Kroemer vom MFT kritisiert. Denn selbst in bevorzugten großstädtischen Kerngebieten, nicht nur in prekären Randzonen oder Problembezirken, können wir mittlerweile in die Jahre gekommenen Hausärztinnen und -ärzte keine potenziellen Praxis-Nachfolger mehr finden.

Aufenthalte in klinischen und/oder universitären bzw. fachärztlichen Einrichtungen sind in der Krankheitsbiografie unserer Patienten/-innen punktuelle Ausnahmeerscheinungen. Im ambulanten Bereich macht allein die hausärztliche Betreuung über 40 Prozent aus. Weit über 80 Prozent aller Beratungsanlässe werden im haus- und allgemeinmedizinischen Bereich abgeklärt bzw. sind einer problemadäquaten Lösung zugänglich. Die Allgemeinmedizin ist somit integraler Bestandteil der gesamten Humanmedizin.

So essenziell wie die Luft zum Atmen gehören die hausärztliche Allgemeinmedizin ebenso wie Chirurgie und Innere Medizin zur Kernkompetenz und Essenz ärztlicher Profession. Sie neben allen anderen Spezialdisziplinen auszugrenzen, Ausbildungskompetenzen zu verleugnen oder Inhalte auszusparen wäre in der Tat eine desaströse Fehlentscheidung.

Insofern gebe ich Professor Dr. med. F. M. Gerlach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), recht, der 2016 zum "Schicksalsjahr für die Allgemeinmedizin" deklariert hat.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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