Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
Gericht entscheidet: Proteste vor Abtreibung-Beratungstelle sind zulässig
Eine „Mahnwache“ gegen Abtreibungen ist auch in unmittelbarer Nähe einer Beratungsstelle zulässig. Schwangere müssen derartige Meinungsbekundungen aushalten, so das Verwaltungsgericht Frankfurt.
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Das Thema Schwangerschaftsabbruch erhitzt die Gemüter von Fürsprechern und Gegnern. Beide Seiten zieht es auf die Straße. (Archivbild)
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Frankfurt/Main. Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main müssen sogenannte „Mahnwachen“ auch in der Nähe von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen zulässig sein. Ein Verbot, die Besucherinnen anzusprechen oder sonst zu belästigen, reiche zum Schutz der Frauen aus. Es gebe aber kein Recht, von der Konfrontation mit einer bestimmten Meinung verschont zu bleiben. Damit widersprachen die Frankfurter Richter der Auffassung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, das in einem anderen Fall gegenteilig entschieden hatte.
Im Streitfall geht es um eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle von Pro Familia in Frankfurt am Main. Vor oder in der Nähe der Beratungsstelle veranstaltet der Kläger seit 2017 jeweils im Frühjahr und im Herbst 40-tägige Mahnwachen. Auch für das Frühjahr 2020 meldete er eine Gebetswache „40 Tage für das Leben“ an.
Orts- und Zeitvorgabe unzulässig
Doch diesmal erlaubte die Stadt die Mahnwache in der Nähe nur außerhalb der Öffnungszeiten der Beratungsstelle. Für seine Mahnwache während der Öffnungszeiten wies die Stadt den Abtreibungsgegnern eine durch eine große Straße abgetrennte Fläche in 120 Metern Entfernung zu. Zur Begründung verwies sie auf eine 2019 vom hessischen Innenministerium herausgegebene „Handreichung zur Lösung von Konfliktfällen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken“. Diese sehe Ortsverlegungen vor. Daran sei die Stadt gebunden.
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Doch die örtlichen und zeitlichen Vorgaben greifen unzulässig in die Rechte des Klägers ein, urteilte das VG Frankfurt. Solche Auflagen setzten unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung voraus. Um dies zu verhindern, reiche aber das von der Stadt zusätzlich erlassene Verbot aus, den Frauen ein Gespräch aufzudrängen oder sie sonst zu belästigen. Dafür, dass sich hier der Veranstalter daran nicht halten würde, gebe es keinerlei Anhaltspunkte.
Das Ziel, „quasi einen Schutzraum für Frauen einzurichten, die sich auf dem Weg zu dieser Schwangerschaftsberatungsstelle befinden“, könne die Eingriffe in die Grundrechte des Veranstalters nicht rechtfertigen.
Versuch der Einflussnahme ist hinzunehmen
Das Persönlichkeitsrecht dieser Frauen umfasse nicht das Recht, „mit einer bestimmten Meinung nicht konfrontiert zu werden“, erklärten die Frankfurter Richter. Einen nicht bedrängenden Versuch der Einflussnahme auf ihre Willensbildung müssten die Schwangeren hinnehmen, befand das Verwaltungsgericht. Es widersprach damit ausdrücklich dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. Dies hatte im Juni 2021 in einer vergleichbaren Streitsache entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwangerer Frauen eine zeitliche und örtliche Beschränkung von gegen Abtreibungen gerichteten Versammlungen rechtfertigen kann.
Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in Mannheim ist jedenfalls eine „Gehsteigberatung“ vor der Beratungsstelle und eine Konfrontation der Schwangeren mit Bildern toter Föten unzulässig.
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Az.: 5 K 403/21.F