Neue EU-Verordnung
Industrie warnt vor Ausfall wichtiger Labordiagnostika
Am 26. Mai 2022 wird ein neues europäisches Genehmigungsrecht für In-vitro-Diagnostika scharf geschaltet. Doch an der erforderlichen Infrastruktur hapert es.
Veröffentlicht:Berlin. Acht Monate vor Ablauf der Übergangsfrist zum neuen europäischen Genehmigungsrahmen für In-vitro-Diagnostika (EU-Verordnung 2017/746, IVDR) sieht die Industrie sich veranlasst, bei der EU-Kommission dringend um Aufschub zu bitten.
Unter Berufung auf eine aktuelle Studie der „EU Competent Authorities for Medical Devices“ (CAMD), eines Zusammenschlusses nationaler Zulassungsbehörden, warnt der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vor einem „massiven Risiko für die künftige Verfügbarkeit medizinischer Labordiagnostik“.
An der Erhebung zu den voraussichtlichen Auswirkungen der fristgerechten Geltung der neuen IVD-Zulassungsregularien hätten sich 115 Firmen beteiligt, heißt es in einer Mitteilung am Montag, davon rund ein Viertel aus Deutschland. Die Studie sei „hochrepräsentativ und deckt 90 Prozent des Diagnostikamarktes ab“, versichert der VDGH. Deren wichtigste Ergebnisse:
- Künftig benötigen zehnmal so viele In-vitro-Diagnostika ein Zertifikat einer Benannten Stelle wie heute.
- Bisher sind erst sechs Benannte Stellen entsprechend der neuen EU-Verordnung designiert. Unter dem gegenwärtigen, alten Rechtsrahmen seien 18 Benannte Stellen für In-vitro-Diagnostik tätig.
- 53 Prozent der IVD-Anbieter haben für ihre Zulassungserfordernisse noch keine Benannte Stelle gefunden; von den KMU seien sogar 64 Prozent noch auf der Suche.
- Erst 12 Prozent der künftig benötigten Zertifikate für IVD-Produkte wurden ausgestellt.
- Im besten Szenario werden 61 Prozent aller IVD zum Geltungsbeginn der Verordnung am 26. Mai 2022 zertifiziert sein, im schlechtesten lediglich erst 24 Prozent.
VDGH-Geschäftsfüher Dr. Martin Walger kommentiert diese Befunde als „alarmierend“. Frühere Studien in gleicher Sache hätten „die Dramatik unterschätzt“. Walger: „Wenn die EU-Kommission nicht reagiert, bahnt sich eine Gefährdung der flächendeckenden Versorgung mit Labordiagnostik an.“ Eine Verschiebung des Geltungsbeginns der IVD-Verordnung sei „dringend erforderlich“. Auch das EU-Parlament habe sich bereits für die Verschiebung ausgesprochen. Eine entsprechende Reaktion der EU-Kommission sei „nun überfällig“.
Gemäß der neuen EU-Verordnung müssen sämtliche heute vermarkteten In-vitro-Diagnostika nach den neuen Anforderungen re-zertifiziert werden, was bis 26. Mai 2022 nachzuweisen ist. Zudem werden mit der Einführung eines Systems der „risikobasierten Klassifizierung“ nach Einschätzung von Branchenbeobachtern künftig über 90 Prozent aller IVD von einer Benannten Stelle geprüft werden müssen. (cw)