Strategie
KI kann ins Auge gehen – zumindest für die Diagnostik
Deutschland hat sich die Künstliche Intelligenz (KI) auf die Fahne geschrieben. In der jetzt verabschiedeten deutschen KI-Strategie spielt die medizinische Diagnostik eine zentrale Rolle. Ein Beispiel aus Österreich zeigt, wohin die Reise gehen kann.
Veröffentlicht:BERLIN/WIEN. Deutschland befindet sich spätestens seit der Digitalklausur der Bundesregierung am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam in der vergangenen Woche im staatlich verordneten KI-Fieber. Mit ihrer offiziell verabschiedeten Strategie zur Künstlichen Intelligenz (KI) will sie Deutschland zu einem Felsen in der Brandung der globalen KI-Landschaft formen – ein zentraler Pfeiler des Fundaments soll dabei auf der medizinischen Forschung und Versorgung liegen.
„Durch die Digitalisierung wächst der Umfang der Informationen, die im Gesundheitswesen für die Steuerung der Versorgungsprozesse als auch für die Steuerung der Strukturen der Versorgungsprozesse genutzt werden können“ heißt es in der Strategie.
Big Data – Rohstoff für die Forschung
An anderer Stelle wird explizit auf die Perspektiven verwiesen, die der richtige Umgang mit den Daten – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte sie vor zwei Jahren die „Rohstoffe des 21. Jahrhunderts“ – verspricht. „Die KI-getriebene Datenwissenschaft ermöglicht es, in großen Datenmengen (‚Big Data‘) Muster, Untergruppen und Zusammenhänge zu erkennen. Das eröffnet neue Anwendungspotenziale gerade bei personenbezogenen Daten – zum Beispiel, um individuelle Gesundheitsrisiken zu identifizieren und Gegenmaßnahmen frühzeitig ergreifen zu können“, steht es in der Strategie geschrieben.
Die Nutzung pseudonymisierter und anonymisierter Daten könne in diesem Bereich dazu beitragen, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem wirtschaftlichen Potenzial von Big-Data-Anwendungen zu erreichen“, heißt es ergänzend.
Wie die Bundesregierung darlegt, will sie den Megatrend KI auch im europäischen Kontext voranbringen. Dass unsere Nachbarn in puncto KI auch nicht untätig sind, beweist ein diagnostischer Durchbruch an der Medizinischen Universität Wien.
„Genau vor einem Jahr haben wir hier darüber gesprochen, dass es künftig möglich sein wird, mit einem automatischen, digitalen Netzhaut-Screening und ohne Hilfe des Augenarztes Diabetes am Auge zu diagnostizieren – zwölf Monate später sind wir an der MedUni Wien mittendrin in dieser digitalen Revolution“ – mit pathetischen Worten kommentiert Professor Ursula Schmidt-Erfurth, Leiterin der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien, das automatische Diabetes-Screening, das an ihrer Einrichtung seit Kurzem eingesetzt wird.
„Die Patienten strömen zu uns, um sich dieser Untersuchung der Netzhaut zu unterziehen, mit der man diabetische Veränderungen innerhalb von wenigen Minuten und ohne Eingriff erkennen kann“, so Schmidt-Erfurth. Grundsätzlich ließen sich alle Stadien der diabetischen Netzhauterkrankung mit dieser Methode erkennen, bei der – hochauflösend – binnen Sekunden digitale Netzhautbilder mit zwei Millionen Pixel aufgenommen und analysiert werden. Big Data mache aber noch mehr möglich: Weitere 50 andere Erkrankungen könne man heutzutage bereits auf diese Weise diagnostizieren. Diabetes sei da erst der Anfang, und die MedUni Wien wirke weltweit an führender Position bei dieser digitalen Revolution mit.
An der Uniklinik für Innere Medizin II, in der Klinischen Abteilung für Kardiologie werde etwa daran gearbeitet, mithilfe dieser digitalen Netzhautanalyse in Zukunft auch kardiovaskuläre Erkrankungen frühzeitig diagnostizieren zu können.
Für Menschenaugen nicht erkennbar
„Diese Artificial Intelligence-Medizin ist ‚super human‘, besser als der Mensch“, betont Schmidt-Erfurth. „Die Algorithmen sind genauer und schneller. Das, was hier analysiert wird, kann der Experte mit freiem Auge nicht mehr erkennen.“ Und dennoch sei das Bekenntnis zu Big Data und zu KI kein Plädoyer für eine Medizin ohne Arzt, wie es manche Experten bereits für eine baldige Zukunft propagieren. „Was wir wollen, ist der Super-Arzt, der mithilfe der gewonnenen High-Tech-Erkenntnisse die richtigen, individuellen therapeutischen Entscheidungen für den Betroffenen trifft, ganz im Sinn der Präzisionsmedizin, und die Patienten nicht alleine lässt“, so Schmidt-Erfurth.
In Wien werde auch schon KI-basiert operiert. „Dabei wird jene Stelle im Auge, an der der Eingriff erfolgt, virtuell und präzise auf einen Riesenbildschirm projiziert – und der Chirurg führt seine Operation bei perfekter Sicht sozusagen ‚am Bildschirm‘ durch, während er natürlich mit dem Skalpell am Menschen operiert“, verdeutlicht Schmidt-Erfurth.