Arbeitszeugnis

Kein Anspruch auf Vortäuschen guter Leistung

Mitarbeiter, die nur eine durchschnittliche Arbeitsleistung erbringen, müssen sich mit der Note "befriedigend" im Zeugnis zufrieden geben. Das hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt. Wer mehr will, muss Nachweise liefern.

Von Nico Gottwald Veröffentlicht:
Streitpunkt Zeugnis: Auch wenn die gängige Praxis vieler Arbeitgeber anders aussieht, per se verlangen können Mitarbeiter gute Bewertungen nicht.

Streitpunkt Zeugnis: Auch wenn die gängige Praxis vieler Arbeitgeber anders aussieht, per se verlangen können Mitarbeiter gute Bewertungen nicht.

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ERFURT. Ein Arbeitszeugnis mit der Note "befriedigend" ist auch weiterhin als ein durchschnittliches Zeugnis zu werten. Begehrt der Arbeitnehmer eine bessere Beurteilung muss er nachweisen, dass seine Leistungen gut oder sehr gut waren. Dies hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich entschieden.

Die Klägerin war in einer Berliner Zahnarztpraxis (wir berichteten kurz) als Rezeptionsmitarbeiterin und Bürofachkraft beschäftigt.

Nach Beendigung ihrer Tätigkeit erhielt sie ein Arbeitszeugnis mit der Note "zur vollen Zufriedenheit", dies entspricht der Schulnote "befriedigend". Die Klägerin verlangte jedoch die Benotung "stets zu unserer vollen Zufriedenheit", das heißt der Schulnote "gut".

Bisher lag die Beweislast beim Chef

Das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg stellten sich auf die Seite der Klägerin.

Zwar sei es in der bisherigen Rechtsprechung so gewesen, dass der Arbeitnehmer, der eine bessere Beurteilung als "befriedigend" und damit eine überdurchschnittliche Beurteilung begehre, nachweisen müsse, dass seine Leistungen besser waren.

Umgekehrt traf bisher aber immer den Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass die Leistungen des Arbeitnehmers unterdurchschnittlich also schlechter als "befriedigend" waren.

Aufgrund veränderter Umstände im Wirtschaftsleben sei jedoch die begehrte, gute Beurteilung der Klägerin keine überdurchschnittliche Beurteilung mehr, so die beiden Gerichte.

Die Vorinstanzen stützten sich auf zwei Studien, die insgesamt 1800 Arbeitszeugnisse aus den Jahren 2010 und 2011 ausgewertet hatten. Danach wurden fast 90 Prozent der Zeugnisse aus 2011 mit den Noten "sehr gut" und "gut" bewertet. Im Jahr 2010 waren es immerhin 68 Prozent.

Vor diesem Hintergrund könne, so die Gerichte, nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer befriedigenden Leistungsbewertung nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens um um eine durchschnittliche Beurteilung handele.

Schließlich werde die überwiegende Mehrheit aller Arbeitnehmer inzwischen mit der Note "sehr gut" oder "gut" bewertet.

Ein künftiger Arbeitgeber könne daher bei der Personalauswahl Arbeitszeugnisse mit einer schlechteren Bewertung als "gut" als Ausschlusskriterium betrachten. Eine befriedigende Bewertung sei daher zukünftig als "unterdurchschnittlich" zu werten.

Dies habe zur Folge, dass der Arbeitgeber nachweisen müsse, weshalb die Leistungen des Arbeitnehmers schlechter als "gut" waren. Das sei der Beklagten im vorliegenden Fall aber nicht gelungen.

Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) war jedoch die Beklagte erfolgreich. Nach Auffassung des BAG führen die von den Vorinstanzen herangezogenen Studien nicht zu einer anderen Verteilung der Beweislast. Es komme nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an.

Ansatzpunkt sei die Note "befriedigend" als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Begehre der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich der Skala, müsse er nachweisen, dass er gute oder sehr gute Leistungen erbracht habe.

Wohlwollend ja - aber nicht lügen

Im Übrigen ließen sich den Studien Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass neun von zehn Arbeitnehmern tatsächlich gute oder sehr gute Leistungen erbringen, nicht entnehmen.

Damit könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen seien, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen.

Der Zeugnisanspruch nach Paragraf 109 Abs. 1 Satz 3 Gewerbeordnung (GewO) richte sich auf ein inhaltlich "wahres" Zeugnis. Ein Zeugnis müsse auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.

Das Urteil des BAG ist nachvollziehbar und richtig. Das Gericht weist noch einmal explizit auf das Wahrheitsgebot bei Zeugnissen hin.

Ansonsten würde künftig ausnahmslos jeder Arbeitnehmer mit "sehr gut" oder "gut" bewertet werden, um einen Rechtsstreit mit schwieriger Beweislage aus dem Weg zu gehen.

Damit würden die Arbeitszeugnisse noch mehr als ohnehin schon an Bedeutung verlieren und zur bloßen Makulatur werden.

Nico Gottwald ist Rechtsanwalt in Sindelfingen und Mitglied der Kanzlei Ratajczak & Partner. Seine Schwerpunkte sind Medizinrecht und Sportrecht.

Az.: 9 AZR 584/13

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