Bundesgerichtshof
Leben ist niemals ein Schaden
Leben, auch wenn es mit Leid verbunden ist, kann nicht als Schaden gelten. Das hat auch Konsequenzen für Patientenverfügungen, wie jetzt der Bundesgerichtshof entschieden hat.
Veröffentlicht:KARLSRUHE. Nach einem vom Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag verkündeten Urteil müssen Ärzte und Pflegekräfte selbst dann keinen Schadenersatz leisten, wenn sie sich über eine Patientenverfügung hinweggesetzt haben.
Im konkret entschiedenen Fall lag allerdings keine Patientenverfügung vor, und auch sonst ließ sich ein Patientenwille nicht ermitteln. Der Patient war mit schwerster Demenz gut fünf Jahre lang mit einer PEG-Sonde ernährt worden und dann im Oktober 2011 82-jährig gestorben.
Sein Sohn machte geltend, die künstliche Ernährung seines Vaters habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens geführt.
Der Sohn forderte deshalb vom behandelnden Hausarzt Schmerzensgeld und Schadenersatz für Behandlungs- und Pflegekosten, insgesamt mehr als 150.000 Euro.
OLG hatte Kläger Schmerzensgeld zugesprochen
Das Landgericht München I hatte die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht München dann aber dem Sohn ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zugesprochen.
Im Rahmen seiner Aufklärungspflichten sei der Hausarzt dazu angehalten gewesen, mit dem Betreuer des Patienten die Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung zu erörtern. Dies habe er pflichtwidrig nicht getan. Der BGH ließ dahinstehen, ob der Arzt tatsächlich seine Pflichten verletzt hat.
„Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden“, stellten die Karlsruher Richter klar. „Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu.“
Die Menschenwürde und das Recht auf körperliche Unversehrtheit verböten es „das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen“.
Nach dem Karlsruher Urteil gilt dies ausdrücklich auch dann, wenn klar ist, dass der Patient in seiner gegenwärtigen Situation keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr wünscht. Auch dann verbiete das Grundgesetz den Gerichten ein Urteil dahin, dass sein Leben ein Schaden sei.
Nach dem BGH steht dem Sohn auch kein Ersatz für Behandlungskosten zu – auch nicht, wenn der Arzt seine Aufklärungspflichten verletzt haben sollte. Denn diese seien nicht dazu da, durch das Weiterleben des Patienten entstehende wirtschaftliche Belastungen zu vermeiden. „Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.“
BÄK-Chef begrüßt Urteil
Dr. Matthias Thöns, Parteigutachter des Klägers, äußerte sich enttäuscht über das Urteil. „Wir kommen wieder zu einer Medizinethik des Mittelalters.“
Es könne bei den heutigen technischen Möglichkeiten der Intensivmedizin nicht sein, dass eindeutig nicht indizierte Maßnahmen, die möglicherweise das Leben verlängern, „auch bei Sinnlosigkeit beliebig eingesetzt werden können“. Leidende Patienten und ihre Familien würden im Stich gelassen.
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) , Professor Frank Ulrich Montgomery, begrüßte indes das Karlsruher Urteil. „Die Erhaltung menschlichen Lebens stellt keinen Schaden dar“, sagte er. „Diese Klarstellung des Bundesgerichtshofs ist für uns als Ärzte wichtig und sie ist auch richtig.“
Könnte verlängertes Leben als Schaden qualifiziert werden, so Montgomery weiter, müsste faktisch losgelöst vom Willen des Patienten darüber entschieden werden, wann Leben noch lebenswert sei und ab wann es einen Schaden darstelle. „Das ist keine humane Herangehensweise – erst recht nicht für Ärzte.“
Auch der Vorsitzende der Deutschen Palliativstiftung, Dr. Thomas Sitte äußerte sich positiv. „Dieses Urteil vom Bundesgerichtshof kann ich als Praktiker in dem, was ich bisher lesen konnte, nur begrüßen, es stellt klar, dass wir nicht über den Wert menschlichen Lebens entscheiden dürfen“, sagte er der „Ärzte Zeitung“ am Dienstag.
„Wir müssen in der Praxis daran arbeiten, dass mit Verstand nach dem Patientenwillen gefragt wird und dass er mit Sachkenntnis umgesetzt wird“, so Sitte weiter.
Az.: VI ZR 13/18
Wir haben den Beitrag aktualisiert am 02.04.2019 um 16:34 Uhr und den ursprünglichen dpa-Artikel durch einen Korrespondenten-Bericht ersetzt.
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