Berlin
MVZ setzt Maßstäbe in der pädiatrischen Versorgung
An der fachärztlichen Versorgung psychisch belasteter Kinder gibt es immer wieder Kritik. Der Berliner Klinikbetreiber Vivantes hat ein Kooperationsmodell aufgebaut, das pädiatrische Generalisten und Spezialisten zusammenführt.
Veröffentlicht:BERLIN. Im Gesundheitszentrum für Kinder und Jugendliche im Prenzlauer Berg sind allgemeine Kinderheilkunde, Kinderchirurgie, -urologie, -gastroenterologie, -psychotherapie und -psychiatrie direkte Nachbarn. Das Beispiel zeigt zugleich, wie Krankenhäuser frei werdende Räume für ambulante Angebote nutzen können.
Es fällt kaum auf: Über Untersuchungsliege und Schreibtisch zieht sich eine Beleuchtungsleiste an der Wand des Behandlungszimmers entlang, wie sie sonst in Krankenzimmern über den Betten hängt.
Im großen Wartezimmer mit bunten Kinderstühlen und fröhlichen Wandbildern sind drei Spinte in die Wand eingelassen.
Das Gesundheitszentrum für Kinder und Jugendliche des Vivantes MVZ Prenzlauer Berg hat einen ehemaligen Bettentrakt des Klinikums Prenzlauer Berg bezogen. Der Empfangsraum ist in der früheren Stationsleitungswarte untergebracht.
Das größte kommunale Klinikunternehmen Deutschlands will den Standort Prenzlauer Berg für die stationäre Versorgung schließen. Dafür werden dort derzeit diverse ambulante Angebote ausgebaut.
Eines davon ist das Kindergesundheitszentrum, mit dem die Vivantes-MVZ-Tochter die Versorgung in der Hauptstadt bedarfsgerecht mitgestalten will. Der Bezirk Prenzlauer Berg zählt zu den Regionen mit den höchsten Geburtenraten in Berlin.
Halbstündige Anamnese nicht ungewöhnlich
Junge Eltern haben dort jetzt schon häufig Schwierigkeiten, einen Kinderarzt zu finden, der ihre Sprösslinge betreut. Weil die Nachfrage so groß ist, hat das im November 2012 gegründete Kindergesundheitszentrum der Vivantes MVZ GmbH jetzt auch die allgemeine Kinder- und Jugendmedizin mit Vorsorgeuntersuchungen in sein Spektrum mit aufgenommen.
Doch der eigentliche Schwerpunkt liegt auf dem besonderen Versorgungsbedarf von Kindern und Jugendlichen mit gastroenterologischen, psychosomatischen und urologischen Beschwerden. Viele der kleinen Patienten klagen über Bauch- und/oder Kopfschmerzen, oder sie nässen altersuntypisch ein. Ihre Beschwerden werden am Vivantes MVZ interdisziplinär abgeklärt.
Der Geschäftsführer der Vivantes MVZ GmbH, Dr. Axel Rösler, berichtet stolz: "Hier werden einige Gesundheitssystemkarrieren wirklich beendet. Die Kinder waren oft schon bei unzähligen Ärzten, bevor sie hierher kommen."
Die Kinderärzte müssen sich nach Röslers Angaben oft durch dicke Patientenakten über die Vorgeschichten informieren. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass eine Anamnese eine halbe Stunde dauere.
Der Ärztliche Leiter des MVZ, Professor Bernd Tillig ist Kinderchirurg und -urologe zugleich. Er wird unterstützt von zwei weiteren Kinderchirurgen, zwei Kinderärztinnen, von denen eine auch Kindergastroenterologin ist, zwei Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen und einem Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie.
Ärzte arbeiten Teilzeit in Klinik weiter
Die meisten Ärzte und Psychotherapeuten sind in Teilzeit am MVZ tätig. Man setze bewusst auf Ärzte, die gleichzeitig auch stationär bei Vivantes arbeiten, um im Falle erforderlicher Klinikeinweisungen die Kinder weiter betreuen zu können, heißt es.
Außerdem bietet das den Ärzten Gelegenheit, jenseits der ambulanten Praxis auch im stationären Bereich weiterhin zu operieren. "Wenn wir als Krankenhaus-MVZ den Ruf hätten, dass hier schnell mal geschnitten wird, wären wir komplett unglaubwürdig", sagt Rösler.
Für ambulante Operationen, die einmal pro Woche stattfinden, greift das MVZ auf die benachbarten Operationssäle des Klinikums zurück. Doch die meisten der kleinen Patienten nehmen eher den Weg in die andere Richtung des alten Klinikflures, der jetzt mit bunten Kinderbildern dekoriert ist.
"Wenn geklärt ist, dass die Beschwerden keine somatische Ursache haben, bieten wir eine psychotherapeutische Behandlung an", so Rösler.
Depressionen, Angst- oder Persönlichkeitsentwicklungsstörungen sind die Diagnosen, die Psychiater Stefan Willma am häufigsten stellt. Dabei sieht er Kinder und Jugendliche von fünf bis 21 Jahren. "Wir versuchen, es nicht zu einer stationären Behandlung kommen zu lassen."
Vor seiner Tätigkeit am MVZ war er als leitender Oberarzt bei Vivantes beschäftigt. Jetzt schätzt er seine neuen Freiräume im MVZ. "Therapie braucht Zeit, die kriegen wir hier zur Verfügung gestellt". Auch fachlich ist die neue Tätigkeit für ihn interessant. Denn das Zentrum nimmt auch an der sozialpsychiatrischen Versorgung teil. Dafür wird ab Oktober eine dritte Psychologin tätig.
50 Prozent Fallzahlzuwachs
Und die Finanzen? "Anfangs war das Zentrum sehr defizitär", räumt Geschäftsführer Rösler ein. Auch heute noch sei es kein lohnenswertes Geschäftsmodell.
Doch es trifft auf einen wachsenden Bedarf. Rösler: "Wir fühlen uns als staatlicher Versorger aufgefordert, diese Lücke zu schließen."
Die Fallzahlen geben ihm Recht. Sie stiegen von Anfang 2013 innerhalb eines Jahres um mehr als 50 Prozent.