E-Health

"Mancher Hype hat sich schon als schädlich erwiesen"

Von außen betrachtet scheint Deutschland mit Blick auf die Telemedizin technikunfreundlich. Hängt die Zurückhaltung von Kassen und Ärzten beim Thema noch an fehlenden Nachweisen über den Nutzen von E-Health?

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:

BERLIN.Patienten besprechen ihre Therapie online mit dem Doktor - in der Mayo-Klinik in den USA ist das eine Selbstverständlichkeit. In Israel können Patienten ihre Daten im Internet ansehen, ausdrucken, speichern und, wenn sie wollen, weiterleiten.

Der Markt mit Gesundheits-Apps wächst. Sogenannte Wearables wie Fitness-Socken, die nicht nur die gelaufenen Kilometer speichern, sondern auch den Laufstil analysieren, werden immer beliebter (wir berichteten).

Digital Health ist auf dem Vormarsch. Nur in Deutschland kommt sie, zumindest was den ersten Ge-sundheitsmarkt, also die Regelversorgung, betrifft, nicht so recht aus den Startlöchern. Angst vor dem Neuen spiele sicher eine Rolle, glaubt Pascal Nohl-Deryk vom Europäischen Medizinstudentenverband.

Kritik an der Ärzteschaft

"Die deutsche Ärzteschaft verbietet immer das, was gerade aktuell ist. Sie rennt immer allem hinterher, weil sie die traditionelle Kommunikation beibehalten will", kritisierte er mit Blick auf das Fernbehandlungsverbot auf einer Fachtagung des Bundesverbands Managed Care in Berlin.

"Dabei habe ich als Arzt immer den Anspruch, der erste Ansprechpartner für meine Patienten zu sein, da gehört auch das Internet dazu." Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sorgen ebenfalls nicht dafür, dass Neues aus dem Bereich Digital-Health schnell in die Regelversorgung eingeführt werden kann.

Martin Gersch von der School of Business and Economics der Freien Universität Berlin erinnerte an die Vorschrift im Sozialgesetzbuch V, nach der Leistungen wirtschaftlich und zweckmäßig sein müssen.

"Krankenkassen können deshalb risikobehaftete Investitionen nicht finanzieren", nahm Gersch indirekt Thomas Ballast, stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Techniker Krankenkasse, in Schutz.

Der hatte zuvor in einer Diskussionsrunde die Zurückhaltung damit begründet, dass man das Gute vom Schlechten, Unwichtiges vom Wichtigen trennen müsse.

Das Sammeln von Daten durch Patienten über Apps oder Wearables berge die Gefahr der Überdiagnostik und -therapie. "Als Kasse muss man den Versicherten Neues mit gutem Gewissen anbieten können. Mancher Hype hat sich schon als gesundheitsschädlich erwiesen", so Ballast.

Schmerz-Apps unter der Lupe

Tatsächlich fehlt den meisten Digital-Health-Instrumenten der Nachweis der Evidenz. So ergab beispielsweise 2013 eine Untersuchung, dass von 283 im Internet verfügbaren Schmerz-Apps keine einzige ihren Niederschlag in Studien gefunden hatte.

Dagegen waren 34 Schmerz-Apps, über die wissenschaftliche Arbeiten existierten, im App-Store gar nicht zu kaufen, berichtete Jochen Gensichen vom Institut der Allgemeinmedizin der Uni Jena.

Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care, erinnerte daran, dass der Nachweis der Evidenz zum Geschäftsmodell jedes Unternehmens gehören müsse, das seine Produkte in den Gesundheitsmarkt bringen wolle.

Der Druck steigt

Für Andréa Belliger, Leiterin des Studiengangs E-Health an der Pädagogischen Hochschule Luzern, wird die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft dazu führen, dass der Druck auf die Akteure im Gesundheitswesen wächst, die Schnittstellen zwischen den Leistungserbringern zu öffnen, damit die Kommunikation verbessert wird.

"Die Patienten wollen die volle Kontrolle über ihre Daten, sie wollen entscheiden, wer den Zugang zu den Daten hat", so Belliger. Digital Health habe im Übrigen nicht nur mit Technik zu tun, es gehe vielmehr um die Veränderung einer Grundhaltung: nämlich mehr Transparenz, Partizipation und Kommunikation zu schaffen. Patienten seien heute schließlich Manager einer "home based care".

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