Medizintechnik

Medica zeigt Potenzial vernetzter Medizin

Vom 13. bis 16. November öffnet die weltgrößte Medizinmesse Medica ihre Tore. Aussteller zeigen unter anderem, wie Licht die Hörfähigkeit herstellen kann oder wie virtuelle Medizin auf virtuelle Patienten wirkt.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

HAMBURG. Digitalisierung total – so definierte Horst Giesen, Direktor der weltgrößten Medizinmesse Medica, bei der Hamburger Vorschau vor Journalisten das Profil der diesjährigen Messe, die vom 13. bis 16. November in Düsseldorf stattfindet. "Die Medizintechnik ist nicht mehr dumm, sondern intelligent, das heißt: vernetzbar", sagte Giesen.

In der Tat werden die tragbaren Anwendungen inzwischen immer mehr zu Türöffnern für neue Wege in der Diagnose, des Monitorings und der Medikation. Und spätestens seit der IBM-Supercomputer Watson im Sommer bei einer japanischen Patientin eine seltene Form von Blutkrebs diagnostizierte, ist die Künstliche Intelligenz (KI) auch in Hinblick auf die Anwendung in der Medizin in aller Munde. Das KI-System von IBM hatte in 15 Minuten 20 Millionen Krebsstudien mit den genetischen Daten der Patientin abgeglichen, die korrekte Diagnose gestellt und eine Therapie empfohlen.

Hörgerät über Smartwatch steuern

Bei den "Wearables", am Körper tragbaren Medizinprodukten, sei die Zeit der einfach in Kleidung eingenähten Sensorik- und Funk-Elemente längst vorbei, berichtete Christian Stammel von der Firma Navispace. So werde zum Beispiel die "Hearing-Aid-Branche" smart werden, kündige Stammel an. Hörgeräte würde in Zukunft über eine Smartwatch steuerbar. Intelligente Pflaster messen den Blutzuckerspiegel und ein Thermometer im Baby-Ohr alarmiert die Eltern dann, wenn Fieber droht. Die tragbaren Geräte der jüngsten Generation sind vernetzt, ihre Daten werden gesammelt und genutzt. "Denn Untersuchungen zeigen: Nach spätestens drei Monaten wird etwa ein Fitnessarmband nicht mehr genutzt. Interessant bleiben sie, wenn wir die Daten sammeln und teilen", sagte Stammel.

Die Auswertung dieser neuen Datenschätze stecke noch in den Kinderschuhen, biete allerdings viele Möglichkeiten für Mediziner, gab Professor Jochen A. Werner zu bedenken. "Die Mengen an Wearables-Daten sind alle noch unerforscht. Sie könnten uns doch frühzeitig Informationen darüber geben, was mit einem Patienten los ist!" Das Entwicklungspotenzial der Künstlichen Intelligenz sei ebenfalls riesig, so Werner. Sie werde die Diagnostik personalisieren, beschleunigen und optimieren.

Computer vs. Mensch

Bei der Mustererkennung und der Gewebeprobeanalyse sei der Computer beispielsweise schon heute seinen menschlichen Kollegen überlegen, hieß es. "In der Befundung zum Beispiel bei den Mammografien gibt es gewaltige Fortschritte", sagte Werner. Aber: Die KI könnte Ärzten künftig Diagnosen in Zweifelsfällen aus der Hand nehmen. Daher müssten sich Mediziner in Zukunft stärker als "Gesundheitsmanager" verstehen und den Computer als Partner wahrnehmen, gibt Werner zu bedenken. Grundsätzlich seien die Maschinen nämlich keine Konkurrenz, sondern Werkzeuge, die von Ärzten klug eingesetzt werden sollten.

Professor Boris Tolg von der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) arbeitet indes daran, ein virtuelles Krankenhaus oder einen virtuellen Krankenwagen zu erschaffen. Wer eine Datenbrille trägt oder einen entsprechenden Simulationsraum betritt, kann sich darin als Lernender bewegen. Reale Studierende können virtuellen Patienten in virtuellen Krankenzimmern virtuelle Medikamente verabreichen und die virtuelle Wirkung studieren. Erste Studien zeigten, dass in bestimmten Situationen durch den Einsatz virtueller Trainingsmethoden Ergebnisse erzielt werden können, die mit denen in der Realität vergleichbar sind, hieß es. Es könne auch Szenarien aus der Unfallchirurgie geübt werden oder der Massenanfall von Verletzten.

Was die Medizintechnik inzwischen auf dem Gebiet der Krankenversorgung zu leisten vermag, berichteten Dr. Oliver Göde vom Münchener Start-up Hepawash und Professor Tobias Moser, eurowissenschaftler an der Universität Göttingen. Gödes Firma hat ein Gerät entwickelt, das helfen soll, Sepsis-Patienten besser zu versorgen.

"In Deutschland sterben jeden Tag im Schnitt 153 Patienten an einer Sepsis", sagte Göde. "Vor allem dann, wenn es neben dem Versagen der Niere auch zu Problemen bei den anderen Entgiftungsorganen Leber und Lunge kommt, steigt die Sterblichkeit der Patienten rasend schnell." Gödes Gerät kann in einem integrierten Verfahren Leber- und Nierengifte aus dem Blut des Patienten entfernen und die Lungenfunktion unterstützen. "Der Vorteil ist, das die Ärzte mit der Therapie aller Organe gleichzeitig beginnen können", erklärte Göde. "So können die Folgen einer Sepsis frühzeitig verhindert werden.

Tobias Moser aus Göttingen hat für seine Entwicklung sogar den Leibniz-Preis erhalten. Er will die Höreindrücke durch ein Cochlea-Implantat um ein Vielfaches verbessern. Ihm ist es gelungen, in die Nervenzellen der Hörschnecke ein lichtempfindliches Eiweiß einzuschleusen. Optogenetik heißt der neue Forschungsbereich.

50 Mikrometer kleine Kontakte

Nun kann die Hörzelle durch das blaue Licht einer Reihe winzigster LED-Leuchten, die zuvor ins Innenohr eingeführt wurden, gereizt werden und sendet einen Impuls. Der Vorteil: Die Nerven werden nicht mehr durch die 14 Kontakte eines herkömmlichen Cochlea-Implantates gereizt, sondern viel feiner durch die 120 nur 50 Mikrometer kleinen Kontakte der LED.

"Wir haben bei der optischen Stimulation eine viel bessere Frequenz- und Intensitäts-Wiedergabe", berichtete Moser. Musikhören oder trotz vieler Hintergrundgeräusche Gespräche führen zu können würde durch ein optisches Cochlea-Implantat deutlich verbessert werden.

Die ersten Messungen bei Tierexperimenten machen Hoffnung: "Die Tiere reagieren auf einen Lichtreiz wie auf einen herkömmlich Hörreiz", betonte Moser. Er sagte aber auch: "Ich scheue mich davor, zu viel Hoffnung zu verbreiten." Bis 2020 würden zuerst weitere Tierexperimente folgen, die feinere Erkenntnisse liefern sollen.

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