Merck: Tristesse nach Rekordumsatz
Rückschläge in der Forschung, zunehmender Wettbewerbsdruck und ein Effizienzprogramm, dessen volles Ausmaß noch nicht abzusehen ist: Beim Traditionskonzern Merck herrscht Krisenstimmung.
Veröffentlicht:DARMSTADT (cw). Nachdem das Management kürzlich Stellenabbau ankündigte, wollten die zur Bilanzpressekonferenz in Darmstadt versammelten Journalisten heute genaueres wissen. Doch Konzernchef Karl-Ludwig Kley hüllte sich in Schweigen.
"Wir werden derzeit weder Ziele noch Kosten nennen". Erst wenn es Resultate aus den Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern gebe, so Kley, werde man konkreter.
Einstweilen bekräftigte er nur die Absicht, den Rotstift "in allen Geschäftsbereichen und Regionen" ansetzen zu wollen. Merck müsse operativ Anschluss an die Margenstärke der Wettbewerber halten, um Innovationen finanzieren zu können. Hier liege man deutlich zurück.
Auch mit einer Prognose für das laufende Geschäftsjahr hielt sich Kley bedeckt. Nur soviel: "2012 steht ganz im Zeichen unseres Effizienzsteigerungsprogramms". 2013 seien die Maßnahmen zur Kostensenkung abgearbeitet, danach wieder mit stärkerem Wachstum zu rechnen.
Im Pharmageschäft erwartet das Management dieses Jahr stagnierende Erlöse, das EBITDA werde sowohl dieses, voraussichtlich aber auch noch kommendes Jahr von den Kosten für das Sparprogramm belastet.
Merck KGaA
Branche: Pharma (Rx, OTC, Labor) und Chemie
Hauptsitz: Darmstadt
Geschäftszahlen 2011: Umsatz: 10,3 Mrd. Euro Betriebsgewinn: 985 Mio. Euro Jahresüberschuss: 629 Mio. Euro Mitarbeiter: mehr als 40.000 weltweit
Dividendenvorschlag: 1,50 Euro (+20 Prozent)
Wichtige Produkte: Rebif® (Interferon beta-1a), Erbitux® (Cetuximab), Gonal-f®, Concor®
Kritische Größe der Pharmasparte dürfte das Hauptprodukt Rebif® werden. Wegen der schärfer werdenden Konkurrenz im Markt der MS-Therapien rechnet Merck für sein derzeit größtes Einzelprodukt mit Umsatzrückgang.
2011 konnte Rebif® (Interferon beta-1a) noch um drei Prozent auf knapp 1,7 Milliarden Euro Umsatz zulegen. - Auf Konzernebene geht der Merck-Vorstand immerhin davon aus, dass der Umsatz 2012 leicht steigt, das operative Ergebnis (EBITDA) vor Sondereinflüssen ebenfalls.
2011 konnte das mehrheitlich in Familienbesitz befindliche Pharma- und Chemieunternehmen erstmals mehr als zehn Milliarden Euro einnehmen. Hohe Wertminderungen sowie Einmalaufwendungen - unter anderem für die Einstellung des oralen MS-Kandidaten Cladribin - sowie gestiegene F&E-Ausgaben und Abschreibungen drückten den operativen Gewinn um 12 Prozent auf 985 Millionen Euro.
Bereinigt um diese Einflüsse hätte sich der operative Gewinn um 9,5 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro verbessert. Netto ging der Gewinn um zwei Prozent auf 629 Millionen Euro zurück.
Die größte Konzernsparte, das Rx-Geschäft Merck Serono, erlöste mit 5,9 Milliarden Euro drei Prozent mehr. Der operative Spartengewinn verringerte sich um 46 Prozent auf 304 Millionen Euro.
Größte Umsatzbringer waren nach Rebif® das Krebsmittel Erbitux® (Cetuximab / 855 Millionen Euro, +15 Prozent), das Fruchtbarkeitshormon Gonal-f® (526 Millionen Euro, +9,0 Prozent) sowie die Merck-Klassiker Bisoprolol (Concor®, 397 Millionen Euro, +7,0 Prozent) und Metformin (Glucophage®, 346 Millionen Euro, +6,0 Prozent).
Unsichere Pipeline
Nach dem Aus für den oralen MS-Kandidaten Cladribin im Sommer vorigen Jahres, hat Merck jetzt vor allem Krebsmittel in der späten Phase der klinischen Entwicklung. Laut Konzernchef Karl-Ludwig Kley handelt es sich dabei jedoch um "Hochriosikoprodukte".
Das gelte sowohl für die therapeutische Vakzine Stimuvax® gegen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs als auch für Cilengitide zur Behandlung von Hirntumoren. Für beide Kandidaten sollen die zulassungsrelevanten Phase-III-Daten 2013 vorliegen.
Auch das einzige Eisen, dass Merck derzeit bei der EMA eingereicht hat, die Indikationserweiterung Lungenkrebs für den Antikörper Cetuximab (Erbitux®), ist ein Wackelkandidat. Mit eben dieser Indikation war Merck schon 2009 im Zulassungsverfahren gescheitert.
Später wurde ein neuer Anlauf mit verändertem Studiendesign unternommen, dessen Resultate jetzt begutachtet werden. Selbst das Merck-Management taxiert die Chancen für eine Zulassung auf "weniger als 50 Prozent", wie die "Financial Times Deutschland" kürzlich berichtete.