Bundesverfassungsgericht
Patientenverfügung darf Zwangsbehandlung psychisch Kranker verbieten
Das Bundesverfassungsgericht stärkt Patientenrechte gegen Zwangsbehandlung und betont in seinem Urteil das Recht auf „Freiheit zur Krankheit“. Zum Schutz von etwa Ärzten sei eine Zwangsbehandlung jedoch gestattet.
Veröffentlicht:Karlsruhe. Psychisch kranke Straftäter im Maßregelvollzug dürfen in einer wirksamen Patientenverfügung medizinische Zwangsbehandlungen verbieten. Soll dennoch allein zum Schutz des Patienten eine zwangsweise Gabe von Psychopharmaka vorgenommen werden, könne die Maßnahme dann unzulässig sein, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Wurde die Patientenverfügung mit freiem Willen verfasst, müsse dies beachtet werden, forderten die Verfassungsrichter. Denn Patienten hätte ein Recht auf „Freiheit zur Krankheit“.
Eine medizinische Zwangsbehandlung könne aber trotz des in der wirksamen Patientenverfügung enthaltenen Verbotes erlaubt sein, wenn diese dem Schutz von Ärzten, Pflegekräften oder anderen Personen dient – etwa vor tätlichen Angriffen des Patienten.
Psychopharmaka per Patientenverfügung abgelehnt
Konkret ging es um einen ab Oktober 2015 im Maßregelvollzug untergebrachten psychisch kranken Straftäter aus Bayern. Der Mann ist an einer Schizophrenie vom paranoid-halluzinatorischen Typ erkrankt. Während einer wahnhaften Störung hatte er mit einem Besteckmesser auf den Brustkorb eines Nachbarn eingestochen. Der als schuldunfähig geltende Mann kam schließlich in den Maßregelvollzug eines Bezirkskrankenhauses.
Bereits im Juni 2005 hatte er eine Patientenverfügung verfasst, in der er lebensverlängernde Maßnahmen sowie Fremdbluttransfusionen ablehnte. In einem weiteren, ergänzenden Schriftstück vom 11. Januar 2015 untersagte er jedem Arzt, Pfleger und anderen Personen ihm „gegen seinen Willen“ Psychopharmaka zu verabreichen.
Verfassungsbeschwerden erfolgreich
Die behandelnden Ärzte im Maßregelvollzug beantragten im September 2016 dennoch die Zwangsbehandlung mit Neuroleptika. Andernfalls drohten mit hoher Wahrscheinlichkeit „irreversible hirnorganische Gesundheitsschäden“. Das Landgericht Nürnberg-Fürth genehmigte die Zwangsmaßnahme und verlängerte die Zwangsmedikation bis zum August 2017. Ohne Erfolg hatte der psychisch kranke Mann vor Gericht auf seine Patientenverfügung verwiesen, in der er die Psychopharmakagabe ablehnte.
Die Verfassungsbeschwerden hatten nun überwiegend Erfolg. Die Fachgerichte haben das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht unzureichend beachtet, entschied das Bundesverfassungsgericht. Jede medizinische Behandlung gegen den Willen des Patienten greife in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein. Das Recht schütze „die körperliche Integrität der Person und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht“.
Zwangsbehandlung als letztes Mittel
Eine Zwangsbehandlung dürfe nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Patienten hätten ein Recht auf „Freiheit zur Krankheit“. Dies schließe auch das Recht ein, „auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese ... dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann“. Verbiete ein Patient in einer wirksamen Patientenverfügung bestimmte medizinische Maßnahmen, müsse dies beachtet werden.
Voraussetzung für die Wirksamkeit der Patientenverfügung sei, dass diese mit freiem Willen verfasst wurde. Untersage die Verfügung eine Zwangsbehandlung, die allein dem Schutz des Patienten dienen soll, müssten Ärzte und Pflegekräfte sich daran halten. Anderes könne gelten, wenn die Zwangsmaßnahme auch zum Schutz anderer Menschen erforderlich sei, etwa um tätliche Angriffe des Patienten zu verhindern. Hier müsse stets geprüft werden, ob die Zwangsbehandlung verhältnismäßig sei, so die Verfassungsrichter.
Im konkreten Fall müssen die Fachgerichte noch einmal prüfen, ob die Patientenverfügung wirksam vom Beschwerdeführer verfasst wurde und ob die Zwangsmedikation auch dem Schutz Dritter dient.
Bundesverfassungsgericht, Az.: 2 BvR 1866/17 und 2 BvR 1314/18