„Reden ist Gold“
So geht Krisenkommunikation
Das Klinikum Oldenburg ging wirtschaftlich unbeschadet durch die Berichterstattung über die Patientenmorde des Pflegers Niels H. Ex-Klinikchef Dirk Tenzer macht seinen offensiven Umgang mit der Krise dafür verantwortlich.
Veröffentlicht:Düsseldorf. Selbst wenn Krankenhäuser mit unangenehmen Wahrheiten an die Öffentlichkeit gehen müssen, ist das besser als der Versuch, die Dinge möglichst lange unter der Decke zu halten.
Diese Erfahrung hat der Arzt und Gesundheitsökonom Dr. Dirk Tenzer gemacht, der von Januar 2013 bis Ende Juni 2019 Vorstandsvorsitzender des Klinikums Oldenburg war – eines der beiden Krankenhäuser, in denen der Krankenpfleger Niels H. sein Unwesen trieb.
„Ein von Beginn an offener Umgang mit den Medien und ein konsequentes Vorgehen sind in meinen Augen der beste Schutz vor einem manifesten Skandal“, sagte Tenzer beim 42. Deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf.
H. hatte von 1999 bis 2002 im Klinikum Oldenburg gearbeitet und von 2002 bis 2005 im Klinikum Delmenhorst. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, in dieser Zeit 100 Patienten getötet zu haben. Zuletzt wurde er im Juni 2019 wegen Mordes in 85 Fällen mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ein weiteres Mal zu lebenslanger Haft verurteilt.
Aufarbeitung aus Eigeninitiative
2005 war H. auf frischer Tat ertappt und ein Jahr später erstmals verurteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt war das ganze Ausmaß seiner Verbrechen noch nicht erkennbar.
Im Klinikum Oldenburg sah man offensichtlich keinen Handlungsbedarf, man ging davon aus, dass dort nichts passiert wäre. Das änderte sich spätestens, als es 2014 im Vorfeld eines neuen Prozesses Presseberichte über mögliche Morde auch in Oldenburg gab. „Dann haben wir begonnen, die Dinge selbst aufzuarbeiten“, berichtete Tenzer.
Die Verantwortlichen setzten eine Kommission ein, befragten Zeugen, gaben ein externes Gutachten in Auftrag und informierten die Staatsanwaltschaft über die eigenen Ermittlungen.
Das Gutachten ergab, dass H. in Oldenburg möglicherweise zwölf Patienten umgebracht hatte. Tenzer entschied, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Er informierte über die Sachlage und stellte einen Aktionsplan vor, um vergleichbare Straftaten in Zukunft zu verhindern. „Ich habe sofort die Verantwortung gegenüber den Angehörigen übernommen und mich entschuldigt.“
Das Gutachten wurde trotz der zum Teil „schauerlichen“ Inhalte zumindest in Auszügen veröffentlicht. „Wir hatten uns entschieden, klare Kante zu zeigen und alles auf den Tisch zu legen, denn es wäre eh auf den Tisch gekommen.“
Zudem habe man Erkenntnisse konsequent an die Ermittler weitergegeben, „auch gegen Kritik aus dem eigenen Haus“. Wichtig war Tenzer auch ein offener Umgang mit der Presse. „Wir mussten Vertrauen erzeugen, dass wir eine sichere Klinik sind.“
Der Plan ging auf, anders als die Kollegen in Delmenhorst hatten die Oldenburger keinen Rückgang bei den Fallzahlen zu verzeichnen. „Bisher ist das Klinikum Oldenburg wirtschaftlich sehr gut durch die Krise gekommen“, versichert Tenzer. Ob das so bleibt, ist derzeit allerdings noch unklar.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen fünf Verantwortliche aus der Zeit, als H. in Oldenburg war, wegen Totschlags durch Unterlassen. Gegen einige Mitarbeiter laufen Verfahren wegen Meineids.
War Infopolitik noch zu defensiv?
Alles in allem hat sich nach Tenzers Einschätzung die Flucht nach vorn im Jahr 2014 gelohnt. „Die frühzeitige Kommunikation einer Krise kann die Krise kleiner halten.“ Während ihm das offensive Vorgehen interne Kritik eingebracht hatte, ging es anderen jedoch nicht weit genug. Ein Richter warf dem Krankenhauschef vor, wichtige Informationen zurückgehalten und Zeugen beeinflusst zu haben. Das wies Tenzer vehement zurück, verließ dann aber das Klinikum.
In Krisensituationen sei es wichtig, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, bestätigte die Kommunikationsberaterin Corinna Bischof Tenzers Kommunikationsstrategie. „Wer selbst nicht kommuniziert, verliert die Deutungshoheit.“ Bischof warnte die Klinikvertreter vor dem Versuch, Probleme unter den Teppich zu kehren. „Es kommt irgendwann raus, und dann wird es umso schlimmer.“
Handlungspläne ohne Alternative
Krankenhäuser sollten sich vor Augen halten, dass sie immer im Mittelpunkt des Interesses stehen, betonte beim Krankenhaustag Frank Roselieb, Geschäftsführer von Krisennavigator – Institut für Krisenforschung. Deshalb sei es für sie besonders wichtig, sich für den Krisenfall zu wappnen. „Ein zentraler Punkt ist ein Vorsorge- und Reaktionskonzept.“
Roselieb empfahl den Krankenhäusern, sich auf unterschiedliche Szenarien vorzubereiten und jeweils konkrete Handlungspläne zu erstellen. Ein wichtiger Bestandteil sollte dabei die Krisenkommunikation sein. Auf bestimmte Themen könne man sich dabei gezielt vorbereiten.
Das könnten das Hygienemanagement, die Bezahlung oder die Arbeitszeiten der Klinikärzte sein. „Das sind Themen, die gerne von den Medien hochgejazzt werden.“