Künstliche Intelligenz
Routinedaten: „Schätze“ für eine verbesserte Versorgung
Wie die Auswertung von Routinedaten von Krankenversicherern durch KI die Patientenversorgung verbessern könnte, wurde anhand konkreter Beispiele auf dem Gesundheitskongress des Westens thematisiert.
Veröffentlicht:Köln. Die Routinedaten von Krankenversicherern sollten viel stärker genutzt werden, um eine bessere Versorgung der Versicherten zu erreichen, glaubt Professor Holger Holthusen, Medizinischer Direktor der Knappschaft Kliniken GmbH. Gerade die Nutzung der Künstlichen Intelligenz (KI) biete dabei große Chancen, „In den Daten stecken viele großartige Schätze, die wir zu heben lernen müssen“, so Holthusen beim „Gesundheitskongress des Westens 2020“ in Köln.
Eine im Jahr 2019 im Journal of Translational Medicine veröffentlichte Studie aus Deutschland zur Entdeckung von unerkannten Hepatitis-C-Infektionen aus Routinedaten verdeutlicht nach seiner Einschätzung das große Potenzial der Datenanalyse. Dafür waren die sozio-medizinischen Daten von 2544 Patienten mit einer gesicherten HCV-Diagnose in ein KI-Netzwerk eingespeist worden – ohne Angaben mit direktem Bezug zur HCV-Diagnose.
KI-System erkennt Risikopatienten
Der von dem KI-System entwickelte Algorithmus wurde dann angewandt auf die Daten von 1,8 Millionen Versicherten aus den Jahren 2009 bis 2014. Ein zentrales Ergebnis: Das System erkannte anhand von Faktoren wie dem Alter, der Diagnose-Kodierung und der Arzneimittel-Verordnungen 2217 Personen mit einem erhöhten Risiko für eine HCV-Infektion, bei denen noch keine entsprechende Diagnose vorlag.
Allerdings blieb der nächste Schritt aus, nämlich die Kontaktierung und Untersuchung der Betroffenen. „Es gab studienbedingt eine strikte Anonymität, man durfte nicht an die Versicherten herantreten“, bedauerte Holthusen.
Optimierung des Entlassmanagements
Die Nutzung der Routinedaten kann auch helfen, das Entlassmanagement in den Kliniken zu verbessern, wie das vom Innovationsfonds geförderte Projekt USER (Umsetzung eines strukturierten Entlassmanagements mit Routinedaten) zeigt. An ihm sind die Knappschaft Kliniken, das Aqua-Institut, das Deutsche Krankenhausinstitut, der BKK Dachverband und die Knappschaft Bahn See beteiligt.
„Aus den Routinedaten wird ein Score für einen möglichen poststationären Versorgungsbedarf ermittelt“, erläuterte Holthusen. Ziel sei es, möglichst früh ein erweitertes Entlassmanagement einleiten zu können.
Er skizzierte eine Reihe weiterer Einsatzmöglichkeiten von KI und Big Data, darunter die Analyse quantitativer Bildmerkmale in großen medizinischen Datenbanken, die intraoperative Erkennung von Resttumorgewebe am Resektionsrand zur Optimierung von Hirntumor-Operationen oder die digitalisierte Mustererkennung für die personalisierte Behandlung von Sepsis-Patienten.
Hochwertige Datensätze notwendig
„Wir können mit vorhandenen Daten und KI die Versorgung besser steuern“, bestätigte der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg Günter Wältermann. Zu den Voraussetzungen gehören für ihn eine exzellente IT, die Schulung der Mitarbeiter und hohe Investitionen.
KI benötige große und qualitativ hochwertige Datensätze, sagte Wältermann. „Wir müssen Datensätze aufbauen, um Behandlungserfolge zu verfolgen und nachzuhalten.“ Die Sektorengrenzen und die Fragmentierung des Gesundheitssystems verhinderten allerdings die Arbeit mit einheitlichen Datensätzen. Deshalb sei ein sektorübergreifendes Vorgehen notwendig. „Der Einsatz der KI ist am wichtigsten dort, wo man Brüche in der Behandlung erkennen kann.“
Recht auf Nichtwissen in Gefahr?
Auch für Professor Eckhard Nagel, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, steht außer Frage, dass eine Nutzung großer Datenmengen eine bessere Versorgung ermögliche. Schwierig werde es dann, wenn Menschen die Optimierungsmöglichkeiten durch KI gar nicht wollen. „Durch die Verarbeitung relevanter personenbezogener Informationen in einer entsprechenden Qualität wird das Recht auf Nicht-Wissen substanziell infrage gestellt“, erläuterte das ehemalige Mitglied des Deutschen Ethikrates.
Wichtige zu klärende Fragen sind für ihn, wie die Informationstechnologie die Beziehung zwischen Arzt und Patient verändert, welchen Einfluss sie auf die ärztliche Entscheidungsfindung hat und wie sie die Rechte und Pflichten von Ärzten und Patienten beeinflusst. „Am Ende des Tages kommt es darauf an, dass die Selbstbestimmung gewahrt bleibt“, betonte Nagel.