Recht
Rund-um-die-Uhr-Pflege heißt auch Rund-um-die-Uhr-Lohn
LAG Berlin spricht Pflegerin aus Bulgarien für sieben Monate 38.709 Euro zu. Ursprünglich hatte sue nur 6.680 Euro bekommen.
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24 Stunden-Pflege zu Hause muss auch nach Mindestlohn bezahlt werden. Bulgarin bekommt 38709 Euro zugesprochen.
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Berlin. 24-Stunden-Pflege heißt 24 Stunden Mindestlohn. Mit dieser Formel hatte im vergangenen Jahr das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt für Aufsehen gesorgt. Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin konnte die klagende Sozialassistentin aus Bulgarien nun abschließend einen weitgehenden Erfolg verbuchen.
2015 versorgte sie sieben Monate lang eine über 90-jährige Frau und bewohnte ein Zimmer in deren Wohnung in einer Berliner Seniorenwohnanlage. Nach ihren Angaben war dies ein 24-Stunden-Job. Nachts habe sie bei offener Tür geschlafen, um ständig bereit zu sein. Mit ihrer Klage verlangt sie daher den Mindestlohn für 24 Stunden täglich, insgesamt 42.636 Euro.
Arbeitgeber war ein bulgarisches Unternehmen, das mit einer deutschen Vermittlungsagentur kooperierte. Diese warb mit einer „24 Stunden Pflege zu Hause“. In ihrem Vertrag mit der Pflegebedürftigen hatte sich die Agentur zu einer umfassenden Betreuung einschließlich des kompletten Haushalts verpflichtet.
Hierzu hatte das BAG bekräftigt, dass die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns auch ausländische Arbeitgeber bindet. Die Vorschrift habe „international zwingende Wirkung“. Dies diene nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern auch dem Gemeinwohl. EU-Recht lasse einen bindenden Mindestlohn zu.
Tägliche Arbeitszeit auf 21 Stunden geschätzt
Dabei ist laut BAG der Mindestlohn auch für Bereitschaftsdienste zu zahlen. Denn auch diese seien Arbeitszeit, und das Gesetz schreibe den Mindestlohn „je Zeitstunde“ vor. Dass die der Betreuerin auferlegten Arbeiten in 30 Wochenstunden zu schaffen gewesen seien, habe der Arbeitgeber nicht darlegen können.
In der Vorinstanz hatte im ersten Durchlauf das LAG Berlin die tägliche Arbeitszeit der Bulgarin auf 21 Stunden täglich geschätzt und ihr so 38.377,50 Euro zugesprochen. Dabei ging das LAG davon aus, dass die Sozialassistentin für täglich zwei Stunden alleine die Wohnung verlassen konnte und sich zudem eine Stunde in der Wohnung der jederzeitigen Arbeitsaufnahme entziehen konnte. Das BAG hatte diese Annahmen gerügt, weil es dafür keinerlei Anhaltspunkte gebe.
Im zweiten Durchlauf vernahm das LAG nun nochmals die Bulgarien sowie die Kinder der alten Frau als Zeuginnen. Vom 24-Stunden-Tag zogen die Berliner dann die Zeiten ab, in denen die Kinder oder andere Personen zu Besuch waren und sich um die Pflegebedürftige gekümmert haben. Im Ergebnis fiel der Abzug etwas geringer aus, und der bulgarischen Sozialassistentin stehen 38.709 Euro zu. Nur 6.680 Euro hatte sie ursprünglich bekommen.
Inwieweit sie die Zahlung der Differenz gegenüber ihrem bulgarischen Arbeitgeber durchsetzen kann, ist offen. Nicht zu entscheiden hatte das LAG, ob das bulgarische Unternehmen hierbei auch die deutsche Vermittlungsagentur mit ins Boot nehmen kann, weil diese trotz des Arbeitsvertrags über nur 30 Wochenstunden eine 24-Stunden-Betreuung versprochen hatte. (mwo)
Landesarbeitsgericht Berlin, Az: 21 Sa 1900/19